Na wenn mir das vor ein paar Jahren mal jemand gesagt hätte, dass ich eines Tages einen Artikel zum Thema “Die Freiheit und das schlechte Gewissen” schreibe. Ich hätte wahrscheinlich herzlich gelacht. Denn ich hatte keine Freiheit, dafür aber auch kein schlechtes Gewissen.

Und das, liebe Ex-Kollegen, von denen einige hier mitlesen, ist wirklich der einzige Punkt, der mich neidisch auf euer Leben blicken lässt. Das klar getaktete Angestelltendasein gibt dir deine Tages-, Wochen-, Monats-, Jahresstruktur vor. Entweder du arbeitest (gutes Gewissen: Ich arbeite!) oder hast Feierabend/Wochenende (gutes Gewissen: hab ich mir durch harte Arbeit verdient!) oder Urlaub (gutes Gewissen: hab ich mir durch harte Arbeit aber sowas von verdient!). Da bleibt nicht eine Sekunde Freiraum, um ein schlechtes Gewissen zu haben und sich zu überlegen, ob man noch etwas anderes tun sollte/könnte/müsste/dürfte außer arbeiten, arbeiten, arbeiten und sich davon erholen.

Sonst gibt es aber nichts, was ich Euch neide: nicht das Eingesperrtsein im Bürokäfig, nicht die (mehr oder weniger sinnlosen) Konferenzen, nicht die (mehr oder weniger sinnlosen) Anweisungen der Vorgesetzten, nicht die unbezahlten Überstunden, nicht die tägliche Pendelei, nicht das Betteln um einen spontanen freien Tag, nicht die Beschimpfungen der Leser am Telefon, einfach nichts.

Denn – und das werde ich nicht müde zu betonen: Ich liebe die Freiheit und kann mir kein anderes Leben mehr vorstellen, als selbstbestimmt mein eigenes Ding zu machen. Ich habe die Möglichkeit, jeden Tag, jede Woche, jeden Monat, jedes Jahr zu entscheiden, was, wann, wo, wie viel und mit wem ich arbeiten will, welche neuen Wege ich einschlagen und welche neuen Dinge ich ausprobieren will.

Für mich ist das ein Traumleben, für das ich geringere Sicherheit und zu Beginn ein geringeres Einkommen als früher gerne hinnehme. Wäre da nicht dieser treu ergebene Freund der Freiheit: das schlechte Gewissen. Wie ein gut erzogener Hund trottet es den ganzen Tag neben dir her, mal an der kurzen, mal an der langen Leine. Aber immer präsent.

Kann man dem schlechten Gewissen einfach einen Tritt geben? Nein!

Am Anfang habe ich noch gedacht, ich könnte dem schlechten Gewissen einfach einen Tritt geben und es verschwindet für immer. Aber denkste.

Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich zu lange im Bett liege. Ich könnte ja schon längst am Rechner sitzen.

Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich zu früh aufstehe. Ich hätte doch alle Freiheit der Welt, auch mal länger liegen zu bleiben.

Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich an einem Tag überhaupt nichts gebacken bekomme. Wie soll denn so Geld auf das Konto kommen?

Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich bis in die Nacht hinein arbeite. Ist das jetzt schon wieder Raubbau an meinen Reserven?

Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich bei brütender Hitze am Badeweiher liege und nichts arbeite.

Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich bei brütender Hitze daheim arbeite und nicht am Badeweiher liege.

Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich sehe, wie andere ihr Online-Business vorantreiben und ich weiterhin “nur” Freiberufler bin.

Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich eine längere Zusammenarbeit eingehe, weil ich mich dann frage: “Beschneide ich mich jetzt in meiner Freiheit?”

Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich feststelle, dass ich nicht auf das eine große Ziel hinarbeite, obwohl jeder sagt, dass nur so ein erfolgreiches Leben funktionieren kann.

Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, weil mein lieber VW Bus Dr. D in diesem Jahr noch keine ordentliche Tour mit mir unternehmen durfte, obwohl ich ortsunabhängig arbeiten kann.

Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich ein schlechtes Gewissen habe.

Was ich daraus gelernt habe?

Freiheit kann ganz schön anstrengend sein. Jeden Tag Optionen zu haben heißt auch, jeden Tag Entscheidungen treffen und mit seinen Folgen leben zu müssen. Sehr schön beschreibt das auch Jonas vom Blog Gedankennahrung in seinem Gastartikel auf dem Blog Glücksdetektiv.

Oft gelingt mir das mit den Entscheidungen sehr gut, noch zu oft aber kommt das schlechte Gewissen wieder hervorgekrochen.

Ich weiß, dass es an meiner Erwartungshaltung mir selbst gegenüber liegt. Dass es immer wieder Momente gibt, in denen ich vergesse, so richtig stolz auf das zu sein, was ich den vergangenen zwei Jahren geschafft habe. Und in denen der alte Pflichterfüller und brave Soldat der Leistungsgesellschaft hervorkommt.

Doch meine Zuversicht wächst, dass ich als Freiheitsanfänger immer besser in dem Bereich werde und ich seltener ein schlechtes Gewissen haben werde. Und wenn es da ist, dann gilt dasselbe Motto wie bei der Angst: einfach das Vorhandensein akzeptieren und fertig.

Auszeit ohne schlechtes Gewissen

Eine Entscheidung habe ich kürzlich ganz ohne schlechtes Gewissen getroffen: Am heutigen Sonntag gehe ich für 5 Tage ins Allgäu-Ashram und mache dort nichts anderes als Yoga, Meditieren und Mantra singen. Programm von 7 bis 22 Uhr, da fällt die Entscheidung auf kompletten Internet-Verzicht sehr leicht.

Kommentieren dürft Ihr trotzdem fleißig. Die Kommentare werden von meiner virtuellen Assistentin freigeschaltet (also meiner lieben Frau). Antworten werde ich dann nach meiner Rückkehr. Auch Mailschreiber müssen sich eine Woche gedulden.

Nächsten Sonntag gibt es natürlich einen Erfahrungsbericht. Bis dahin wünsche ich dir eine wunderschöne Woche ganz ohne schlechtes Gewissen.

Hast du auch schon Erfahrungen mit der Freiheit und dem schlechten Gewissen gemacht? Wie löst du das Dilemma gerade als Selbstständiger/Freiberufler? Oder bist du froh, dass du als Angestellter wenigstens dieses Problem nicht hast? Ich freue mich auf deinen Kommentar!

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