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„Genieße es, das wird das längste lange Wochenende deines Lebens”, hat eine liebe Kollegin an meinem letzten Arbeitstag zu mir gesagt und mich umarmt. Das war am Freitagabend, als ich zugegebenermaßen doch etwas wehmütig auf meinem Schreibtischstuhl geklebt bin und mir viele, viele Gedanken sowie großartige, aber auch unschöne Erinnerungen durch den Kopf gegangen sind.

Irgendwann habe ich dann doch noch meinen Hintern hochbekommen und als Letzter das Büro verlassen – sehr ungewöhnlich für mich. Daheim angekommen dann immer noch das sonderbare Gefühl: Warum nur will sich aktuell keine überschäumende Freude einstellen?

Ich hatte doch den letzten Arbeitstag so herbeigesehnt? Hatte wie früher die Wehrdienstleistenden meine „Lage”, also die verbleibenden Tage fest im Auge.

Dann habe ich in mich hineingehört und festgestellt, dass man über 11 Jahre eben nicht einfach so wegwischen kann. Es war ein entscheidender Teil meines Lebens und wird es immer bleiben. Sportredakteur war mein Traumjob, aber die sich ständig verschlechternden Rahmenbedingungen bei  Tageszeitungen (Stellenabbau, Arbeitsverdichtung, hoher Druck und Stress) haben mir im Lauf der Zeit den Traum verleidet. Ich gehe aber nicht mit grimmigen Gefühlen, sondern habe meinen Frieden mit (fast) allem gemacht.

Ich würde die Kollegen am liebsten mitnehmen

Verzeihung für die lange Einleitung, aber jetzt komme ich zum Wesentlichen: Verdammt nochmal, ich würde viele meiner Kollegen am liebsten mit in mein neues Leben nehmen! Ich habe es nur deshalb solange bei der Zeitung ausgehalten, weil da so viele großartige Menschen waren, mit denen man über den alltäglichen Wahnsinn lachen – und ihn auch bisweilen bei einer gepflegten Bier- oder Whiskyrunde herunterspülen konnte.

Seit meiner Zeit in der Klinik habe ich so unglaublich viele intensive und wertvolle Gespräche mit Kollegen geführt. Ich hatte damals Schiss vor der Rückkehr, Schiss, einen Stempel aufgedrückt zu bekommen – aber nichts davon ist passiert. Im Gegenteil. Das ernsthafte Mit-Fühlen, Mit-Leiden, Mit-Lachen war neben meiner neu gewonnen Stärke ein ganz wichtiger Bestandteil dieser immer noch schwierigen Phase.

Diesen Rückenwind habe ich auch am Freitag wieder gespürt. Auf mein Abschiedsmail hin bekam ich dutzende Rückmeldungen, tolles Verständnis für meine Entscheidung und wunderschöne Wünsche für meine Zukunft. Wie sagte der frühere Nationalspieler Didi Hamann einst so schön: „I bin baff!“ Oder mein geschätzter Therapeut in Scheidegg: „Wow – ich bin inspiriert.“ Ich weiß, dass mich diese Unterstützung weit tragen wird.

„Warum labert der jetzt die ganze Zeit nur über seine Kollegen?“, wird der ein oder andere jetzt fragen. Ganz einfach: Weil ich auf ein solches Feedback nicht gefasst war, weil sich da in den letzten Monaten sehr viel Positives entwickelt hat, weil es einfach mal gesagt werden musste.

Die vielen anderen, denen ich unglaublich viel zu verdanken habe, weil sie mich mit meinen neuen Lebensplänen so wundervoll unterstützt und bestärkt haben, wissen das schon: Meine wunderbare Frau, meine Familie, die Freunde und nicht zu vergessen die unglaublich lieben früheren Mitpatienten aus Scheidegg. Nichtsdestotrotz auch an sie alle nochmal ein riesiges „WOW“.

So, die Abschiedstränchen sind verdrückt, beim nächsten Mal wird es etwas weniger rührselig, versprochen.

Es lebe die Freiheit!