warum es dir auch mal beschissen gehen darf

It’s been a bad day, please don’t take a picture

(R.E.M. – Bad Day)

Es muss sein. Heute führt kein Weg dran vorbei. Kopfhörer auf, Lautstärkeregler auf Anschlag und ganz laut mitschmettern: “It’s been a bad day, please don’t take a picture”.

Warum nur fühlt sich dieser Tag so beschissen an? Warum ziehen mich die seit Tagen grauen Wolken heute so richtig runter, wenn ich aus dem Fenster schaue? Warum kann ich gerade nichts mit mir anfangen, komme nicht in die Pötte, obwohl ich eigentlich ein paar wichtige Sachen erledigen wollte?

Was bremst mich gerade aus? Meine Frau sagt: “Du schaust so traurig.” Früher hätte ich geantwortet: “Ach was, alles okay.” Aber a) wäre das gelogen und b) wäre das ein direkter Angriff auf die Ehrlichkeit meinen Gefühlen gegenüber.

Was ich aus Erfahrung weiß: Ich reagiere an solchen Tagen übersensibel, weil ich nie mehr eine schwere Depression mitmachen will. Drei davon reichen mir.

Aber ich weiß eben auch, dass ich an noch so vielen Stellschrauben drehen kann – und das tue ich seit fast zwei Jahren in vielen Bereichen gewaltig -, um das Rückfallrisiko zu minimieren, und doch ist die Wahrscheinlichkeit bei mir um einiges höher als bei Menschen, die noch nie betroffen waren.

Geht das jetzt schon wieder los? Nein, das ist albern!

Andererseits: Die “Geht das jetzt schon wieder los?”-Gedanken sind albern. Ein beschissener Tag zwischen vielen guten ist noch lange kein Anzeichen für irgend etwas Schlimmes. Es ist halt einfach nur ein beschissener Tag.

Und langsam beginne ich zu realisieren, dass dieser Tag wertvoll für mich ist. Nicht, dass ich so einen öfter bräuchte. Aber er will mir etwas sagen.

Nein, eigentlich will er mich etwas fragen:

  • Habe ich den richtigen Weg eingeschlagen?
  • Denke ich schon wieder zu weit nach vorne?
  • Teile ich meine Kräfte richtig ein?
  • Kümmere ich mich um zu viele Dinge gleichzeitig?
  • Und lebe ich meine neue Freiheit eigentlich in dem Maß, wie ich es mir vorgestellt habe?

Während ich mir diese Fragen auf einen Block aufschreibe (ich liebe Schreiben als Problemlöser und Therapiemethode), denke ich mir: “Danke, beschissener Tag, dass es dich gibt. Denn vielleicht habe ich an den vielen guten Tagen den Kontakt zu ein paar wichtigen Themen schleifen lassen. Jetzt muss ich sie mir doch einmal näher anschauen.”

Ich bin selbst gespannt, wie meine Antworten ausfallen werden. Die eine oder andere Ahnung davon habe ich schon. Und deshalb werde ich auch die eine oder andere Konsequenz daraus ziehen.

Ich will den inneren Aufruhr akzeptieren

Fest steht: Vieles in meinem Inneren ist noch in Aufruhr. Und ich will lernen, das zu akzeptieren.

Meine Krankheitsgeschichte, das Kündigen des Jobs, die halbjährige Europareise mit so vielen neuen Eindrücken, die Rückkehr mit den Eingewöhnungsproblemen, der Weg in die Selbstständigkeit: Wenn innerhalb von 21 Monaten kein Stein auf dem anderen bleibt, darf ich mich auch nicht wundern, dass das neue Haus noch nicht fertig ist.

Ganz im Gegenteil: Wahrscheinlich ist der Prozess, den ich gerade durchlaufe, noch lange nicht abgeschlossen. Weil es für mich das sicherheitsorientierte, klar vorgezeichnete Leben nicht mehr geben wird. Weil noch so viele Überraschungen kommen werden. Weil ich mich verdammt oft selbst überraschen werde.

Dabei werden genug Fragen auftauchen und Probleme zu lösen sein. Deshalb beschließe ich mit dem heutigen Tag, dass ich beschissene Tage ab heute als Chance sehe, an gewissen Stellen in meinem Leben nachzujustieren.

Zudem habe ich in den letzten Stunden gelernt, dass es möglich ist, solche Tage einfach an- und hinzunehmen – ähnlich wie bei Angstgefühlen. Dass der Versuch scheitert, sie krampfhaft zur Seite zu schieben oder sie mit guter Laune zu überspielen.

Für den nächsten beschissenen Tag habe ich mir vorgenommen, ihn richtig zu zelebrieren. Ihn als “Heute bist du dran”-Weckruf zu interpretieren. Und dann entweder noch lauter Musik zu hören. Oder ganz still zu werden und stundenlang zu lesen. Oder raus in den Wald zu gehen und herumzuschreien. Oder den Tag komplett auf dem Sofa zu vergammeln. Oder, oder, oder …

Wenn ich aus den guten Tagen so viel Energie ziehen kann, dann wäre es doch schade, die spezielle Energie negativer Tage komplett verpuffen zu lassen.

Wie gehst du mit solchen Tagen um? Was ist dein erprobtes Mittel, ums sie durchzustehen? Hilft dir Ablenkung oder Rückzug? Ich freue mich auf deinen Kommentar!

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