“Weißt du Mischa, du kannst ja leicht reden. Du hast ja keine Kinder.”
“Mischa, du bist halt privilegiert.”
“Weißt du Mischa, so einfach geht das nicht. Ich muss ja schließlich mein Haus abbezahlen (jeden Tag 12 Stunden arbeiten; meine kranken Eltern pflegen; meinen Goldhamster versorgen).”
Ich liebe solche Nachrichten.
Zum einen als schöne Erinnerung an mich: Hej, ich führe tatsächlich ein verdammt privilegiertes Leben.
Zum anderen als schöne Erinnerung an dich: Die Entscheidung für ein privilegiertes Leben triffst du. Deine Eigenverantwortung. Ende der Geschichte.
Na, hast du gemerkt, wie dein Blutdruck steigt? “Wie kann der sowas vom Stapel lassen! Wenn der wüsste, wie schlimm meine Situation ist!”
Okay, alle einmal tief durchatmen. Lass mich etwas weiter ausholen.
Die zwei wichtigsten Aspekte der Eigenverantwortung
1.) Du bist schon privilegiert und darfst dankbar dafür sein
Wenn du diese Zeilen liest, hat dir irgendwann mal jemand das Lesen beigebracht. Du hast einen Rechner oder ein Smartphone und Strom, um diesen zu betreiben. Du hast ein Dach über dem Kopf, eine warme Heizung und jeden Tag genug zu essen. Angesichts dieser Voraussetzungen würden 80 % der Weltbevölkerung dir sofort ein verdammt privilegiertes Leben bescheinigen.
Ach und: Du bist am Leben. Wann hast du dich zum letzten Mal für all diese Aspekte bedankt?
2.) Hör auf, irgend jemand anderen für dein Leben verantwortlich zu machen
- Wer ist verantwortlich für deinen Job? DU!
- Wer ist verantwortlich für deine Beziehung? DU!
- Wer ist verantwortlich dafür, wie sich deine Kinder entwickeln? DU!
- Wer ist verantwortlich für deinen Kontostand? DU!
- Wer ist verantwortlich für deine Wohnsituation? DU!
- Wer ist verantwortlich für deine Gesundheit? DU!
- Wer ist verantwortlich für deine Freiheit? DU! (falls du mal wegen eines Justizirrtums im Gefängnis gesessen bist, nehme ich die Aussage für dich zurück; für alle anderen gilt sie umso mehr)
- Wer ist verantwortlich für deine Fitness? DU!
- Wer ist verantwortlich für deine Stimmung? DU!
- Wer ist verantwortlich für deine Gefühle? DU!
DU, DU, DU, DU, DU …!
Ja, ich weiß, das schmerzt.
Doch du darfst ab jetzt damit aufhören, irgendjemanden oder irgendwas in deinem Leben dafür verantwortlich zu machen. Du stehst dort, wo du gerade bist, aufgrund der Entscheidungen, die du getroffen hast. Aufgrund der Dinge, die du getan oder nicht getan hast. Aufgrund der Art, wie du über dich und das Leben denkst (oder zumindest bis jetzt gedacht hast).
“Ja, Mischa, ABER …!”
Ja, ich weiß auch, dass manchmal Dinge geschehen, die außerhalb unserer Kontrolle liegen.
Und auch hier liegt die Entscheidung wieder bei dir: Nimmst du hin, was ist und du eh nicht ändern kannst. Oder entscheidest du dich wie gewohnt für den Widerstand.
Weil du der Meinung bist, dass das Leben sich gefälligst nach dir zu richten hat. Weil du ja weißt, was gut für dich ist und wie alles zu laufen hätte, damit es dir gut geht.
Du gut. Leben böse.
Rate mal, wer mehr Freude am Leben hat, mehr Leichtigkeit und mehr Fülle in sein Leben zieht? Derjenige, der schon durchdreht, wenn sein Zug nur 20 Minuten Verspätung hat, die Schaffner beschimpft und allen im Abteil tierisch auf den Sack geht? Oder derjenige, der selbst nach einer Stunde Zwangspause auf freier Strecke noch gechillt in seinem Sessel sitzt und seinen Nachbarn lustige Geschichten erzählt?
Du willst, dass das Leben gut zu dir ist? Dann sei du doch mal gut zum Leben!
Und kommentiere nicht alles mit heruntergezogener Fresse wie ein Fußballfan, dessen Lieblingsteam gerade haushoch verliert (abgesehen davon ist es eh sinnfrei und Energieverschwendung, die eigene Stimmung von Sportergebnissen abhängig zu machen – ich weiß, wovon ich als früher passionierter Passivsportler spreche).
Wann fängst du an?
Wenn du feststellst: Okay, das mit dem Leben, Dach überm Kopf und genug Essen ist schön. Doch da gibt es genug andere Aspekte, die ich in mein Leben integrieren möchte. Dann fang an!
Schritt 1: Sträub dich nicht mehr gegen das Leben. Fang an, mit der aktuellen Situation Frieden zu schließen. Vielleicht so: “Ja, ich stecke gerade ziemlich in der Scheiße. Das ist okay. Und ich bin mir sicher, dass es auch für mich einen Weg heraus gibt. Ich übernehme endlich (das erste Mal) in meinem Leben die volle Verantwortung für mein Leben und gehe ab jetzt konsequent Schritt für Schritt dahin, wo ich wirklich hin will.”
Schritt 2: Fang wirklich an. Jetzt.
Schau, zu mir hat damals auch niemand gesagt:
Gratulation Herr Miltenberger! Zum Dank für 20 Jahre Panikattacken und 10 Jahre mit depressiven Episoden überreichen wir Ihnen dieses Paket, das folgende Privilegien beinhaltet:
- Medikamentenfreies Leben
- Ortsunabhängiges Arbeiten
- Wundervolle Freunde
- VW Bus/Wohnmobil und viele Reisen
- Erfolgreiche Selbstständigkeit als Coach und Seminarleiter, der mit Menschen an seinen Lieblingsorten arbeiten darf
- Lebensfreude
- Viel Zeit für Ruhe, Entspannung, Lesen und Bewegung im Freien
- Eine völlig neue Sicht auf die Welt und wie das Leben tatsächlich funktioniert
- Eine Frau, die es mitmacht, viele Wochen im Jahr allein zu sein, während ihr Mann seine Solotrips durchzieht
- und, und, und …
Risiken und Nebenwirkungen von Heldengeschichten
Anders formuliert: Wenn du glaubst, ich sei privilegiert, dann frag dich bitte, wo diese Privilegien herkommen. Oder wie Stefan Hiene so schön sagt: “Die Heldengeschichten finden alle toll. Aber keiner will wirklich wissen, was auf dem Weg dorthin alles passiert ist.”
Held sein ja. Doch bitte ohne Schmerzen. Falls du das Rezept kennst, sag es mir.
Ich selbst durfte in den vergangenen Jahren ziemlich viel opfern und investieren, um an den heutigen Punkt zu kommen. Die zentralen Bestandteile:
- Volle Eigenverantwortung mit radikaler Klarheit und Konsequenz bei allen Entscheidungen
- Mich unangenehmen Wahrheiten zu stellen und schmerzhaften Themen zu öffnen
- Eingehen von Risiken auf verschiedenen Ebenen (Zahlt sich das finanziell aus? Werde ich noch geliebt, wenn ich mich stark verändere? Kann ich das echt bringen, so zu leben? Hält unsere Ehe das alles aus?)
- Mich jedesmal wieder der Angst vor neuen Schritten zu stellen – und sie trotzdem oder gerade deshalb gehen
- Ständiges Üben von Selbstannahme
- “Komische” Zeiten aushalten und den Widerstand aufgeben
- Mich meinem schlechten Gewissen zu stellen (“Du leistest zu wenig! So einfach geht das nicht!”)
- 30.000 Euro Investition in mich (Klinik/Seminare/Mentoring/Persönlichkeitsentwicklung auf verschiedensten Ebenen – einiges aus den Rücklagen aus der Berufszeit, viel davon selbst erwirtschaftet)
- Mich meinem früheren Dämon “Alkohol” solange zu widmen, bis er keinen Einfluss mehr auf mein Leben hat
Die Liste ließe sich noch ziemlich lange fortsetzen. Und jetzt frage ich dich: Wenn du meinst, ich sei privilegiert – was hast du denn von all diesen Dingen schon in die Waagschale geworfen, um etwas zu verändern?
Krasse Veränderungen sind möglich
Falls das nicht so viele oder gar keine sind, darfst du dich gerne fragen: “In welchen Bereichen meines Lebens werde ich ab heute mehr Verantwortung übernehmen?”
Und dann tu endlich das, wonach deine Seele schreit, anstatt dich mit den gut geübten Ausreden und dem Verweis darauf, dass du leider nicht so privilegiert bist, weiter selbst zu verarschen.
Sind krasse Veränderungen möglich? JA! Falls du es nicht glaubst, schau dir einfach mal das Foto auf meinem Personalausweis von 2010 an.
Gehen die Veränderungen heute auf morgen? Klar, wenn du fest genug daran glaubst. Ansonsten darfst du einfach heute beginnen und die ersten Schritte in dein privilegiertes Leben gehen. Und nicht mehr stoppen.
Ach, wie du ins Tun kommst? Durch Tun und Ausprobieren. Mehr davon, was dir gut tut und Spaß macht. Weniger davon, wogegen sich in dir alles sträubt.
Leider wird’s nicht komplizierter.
Micha, ich liebe dich für diesen Post. SelbstverANTWORTung und Klarheit basierend auf Selbstliebe sind für mich mein rezept für ein autenthisches Leben.
Danke für dein Sein und TUN <3
Madlen
Liebe Madlen,
ja, das fühlt sich gut an! Danke für die Liebeserklärung <3
Herzensgrüße
Mischa
Nackenschmerzen vom Kopfnicken.
Vielen Dank für diesen Post, den ich jetzt allen “Ja, aber”-Sagern zuschicken kann.
<3
Du machst ja Sachen! 😉 Und sehr gerne geschehen.
Liebe Grüße
Wow Mischa… danke für die Bestätigung meiner gerade errungenen neuen Erkenntissen… (jessas ist das überhaupt Deutsch? )
Situation: Kein Haus ich müsste in 3 Tagen raus, weit und breit nix in Sicht, dafür 7 Tiere, lebe im Paradies, habe gerade einen Monat Aufschub bekommen, bin ansonsten in der privilegiertesten Lage überhaupt…
DANKE
Ich hab’s verstanden, das reicht 😉
Und hej, abgefahrene Situation. Wie kann’s jetzt noch besser werden? Bin gespannt, was da für dich kommt, was noch besser ist.
Liebe Grüße ins privilegierte Griechenland 🙂
Lieber Mischa,
wieder mal ein sehr feiner Artikel, danke dafür!
Eingehen von Risiken auf verschiedenen Ebenen – da hab ich zur Zeit Luft nach oben, das war schon besser. Gute Erinnerung.
Und ich liebe den letzten Satz: Leider wird’s nicht komplizierter.
Im ersten Moment mußte ich lachen, im zweiten schlucken und im dritten habe ich ihn mir notiert, ganz fett.
Herzliche Grüße
Anne
PS: Bin gespannt auf dein Buch – viel Spaß dabei!
Hi liebe Anne,
hast du schön beschrieben die drei Schritte, musste grade grinsen, weil ich solche Prozesse nur zu gut kenne.
Herzliche Grüße
Mischa
P.S.: Danke für die guten Wünsche, dann kann das ja nur gut werden 🙂
Alles richtig, nur bei der Gesundheit habe ich Einwände: es gibt durchaus Schicksalsschläge, die kann man nicht direkt beeinflussen, auch mit der besten Ernährung, Sport, positivem Denken usw., da finde ich sollte man sich auch nicht übertrieben selbst verantwortlich für machen oder schuld geben. Diese Dinge muss man einfach hinnehmen/akzeptieren, wie sie sind.
Hi Leo,
ja das stimmt natürlich. Und bevor wir uns auf die Ausnahmen und Schicksalsschläge konzentrieren, dürfen wir erstmal schauen, was alles in unserem Bereich liegt, womit wir unsere Gesundheit unterstützen können. Da behaupte ich einfach mal, dass in unserer Symptom-Medikament(Operation)-Gesellschaft noch ziemlich viel Luft nach oben ist.
Liebe Grüße
Mischa
Hi Mischa,
vielen Dank für den Weckruf, knackiger kann man das kaum ausdrücken.
In unserem privilegierten Leben haben wir uns sehr an unser Rundum-Sorglos-Paket gewöhnt. Und wenn irgendetwas nicht zu unserer Zufriedenheit funktioniert, soll der Arzt gefälligst Pillen verschreiben, die wirken. Oder aber irgendjemand anderes ist Schuld, über den können wir uns beschweren und uns in Selbstmitleid suhlen, weil alle so böse zu uns sind. Ab und zu über den Chef zu motzen tut gut, hilft aber nicht weiter.
Ja, es gibt Dinge, die wir nicht beeinflussen können. Wir sind nicht völlig frei in unseren Entscheidungen. Sich die Klamotten vom Leib reißen und in seinen Lebenstraum als Nacktbadeweltmeister ein Vermögen zu verdienen wird vermutlich auch nicht so einfach funktionieren.
Aber ich finde es wichtig, dass man sich seiner Verantwortung bewusst wird. Und das ist nicht nur eine Belastung, sondern auch eine Riesenchance. Denn mit dem Bewusstsein ist man nicht mehr der Lemming, das Opfer der Umstände. Man gewinnt an Freiheit und Macht, denn man beginnt, selbst Entscheidungen für sich zu treffen.
Dazu gehört auch eine bewusste Entscheidung, WAS man für sich verändern möchte. Vieles wird nicht sofort und auf einen Schlag funktionieren. Da sind sie wieder, die berühmten Umstände, in denen man steckt. Die “ja, aber…”
Mein Job ist sinnlos. Er macht mir keinen Spaß. Er machte mich krank, und er ist verdammt gut bezahlt. Ich will da raus, aber brauche das Geld. Als Opfer stecke ich in der Falle, wie viele andere mit Burnout auch. Mimimimi.
Ja, einfach so hinzuschmeißen hätte weitreichende Konsequenzen. Also was tun? Opfer sein? Nein danke! Ich trage die Verantwortung dafür. Und als Verantwortlicher stelle ich fest, ich bin für diesen Schritt noch nicht bereit. Also muss ich meine Verantwortung wahr nehmen und mich mit der Situation arrangieren. Das habe ich getan, an meiner Einstellung vom Job gearbeitet und Ausgleich gesucht und gefunden. Der Job macht immer noch keinen Spaß und ich will da weg. Das kommt später, aber die ersten Schritte sind gemacht. Wann der große Sprung kommt – meine Entscheidung. Ich will kein Opfer der Umstände mehr sein.
Ich denke, das funktioniert in vielen Bereichen so. Manchmal ist eine radikale Veränderung genau das Richtige, manchmal klappt das nicht so einfach. Aber selbst in diesen Fällen sollte man sich seiner Verantwortung bewusst sein und versuchen, sich sein Leben, seine Freiheit, seine Entscheidung einfach ein Stück weit zurück zu erobern. Und sich für den Sieg feiern, denn das gibt Zufriedenheit und Kraft für die nächsten Schritte.
Mischa, ich bewundere dich für deinen Weg. Danke, dass du uns daran teilhaben lässt. Auf dass sich möglichst viele selbst aufmachen 🙂
Grüße
Jens
Lieber Jens,
wow, danke für dieses super reflektierte Feedback und das Teilen deiner Erfahrungen! Perfekte Ergänzung zu meinem Artikel 🙂
Und das mit dem Nacktbade-Weltmeister – warum nicht? Ob das funktioniert, liegt einzig an deiner Fantasie, hehe 😉
Ganz liebe Grüße und alles Gute auf dem deinem Weg
Mischa
Hi Mischa,
grundsätzlich gebe ich dir in vielen Dingen Recht. Allerdings nicht, was den Punkt “Kinder” betrifft. Da machst du es dir zu einfach. Du sagst, die Eltern sind verantwortlich, wie die Kinder sich entwickeln. Das stimmt nicht, sie haben sicher einen Anteil daran aber auf vieles keinen Einfluss.
Wenn dein Kind Depressionen bekommt, bist du als Mutter nicht dafür verantwortlich.
Dein Leben ändert sich komplett und diese Situation einfach “annehmen”?
Kann ich nun sagen, mir egal, ich reise einfach? Ich habe Verantwortung für mein Kind und bin nicht frei in meinen Entscheidungen.
LG Ella
Liebe Ella,
du bist immer frei in deinen Entscheidungen. Die einzige Frage ist, ob du bereit bist, den Preis für deine Entscheidungen zu zahlen.
Herzliche Grüße
Mischa
Mischa hast du Kinder? … in dem Fall würden dann die Kinder den Preis zahlen. Es ist einfach so, man hat eine moralische Verantwortung ihnen gegenüber.
Ich weiß genau was du meinst mit “frei in deiner Entscheidung und den Preis zahlen” und ich denke, zu 90 % ist das anwendbar, aber es gibt eben auch Situationen, wo das nicht gilt.
Hier angewendet : Mach, was dir gut tut und dein Kind begeht als “Preis” dann evt Suizid. Kannst du da wirklich von freier Wahl sprechen?
Lieber Mischa,
ich habe Dein Blog mit großem Interesse gelesen – in Momenten großer Verzweiflung hat er mir sehr geholfen und gezeigt, dass auch schon andere Menschen vor mir durch den dunklen Seelensumpf getaucht sind und auch wieder daraus aufgetaucht.
Jetzt, wo es mir wieder besser geht, würde ich Dir gerne auch einige Gedanken schreiben – vielleicht kannst Du sie gebrauchen, vielleicht auch nicht – das schöne ist ja, dass Du das selbst entscheiden kannst 😉
Womit wir auch schon beim Thema wären. Ich finde es sehr wichtig und richtig von Dir, Deinen Lesern zu spiegeln, dass sie nicht Opfer irgendwelcher Umstände sind, sondern dass die eigenen Entscheidungen, die man im Laufe seines Lebens getroffen (oder nicht getroffen) hat, ganz wesentlich den eigenen Blick aufs Leben beeinflussen.
Daraus zu folgern, dass wir alle mit einem Dalai-Lama-ähnlichen Grinsen durch die Welt laufen können und tagtäglich voller Freude aus dem Bett springen (ich übertreibe ein bisschen, aber überspitzt nehme ich Deine Sicht manchmal so wahr), finde ich aber einen Schritt zu weit.
Bei vielen der “Ja, aber”-Sager, die Du in Deinem Beitrag erwähnst, spielt bestimmt der Neid eine große Rolle – man sieht die Bilder auf Deiner Homepage, liest Deine teils euphorischen Beiträge und denkt sich: “Da kann doch was nicht mit rechten Dingen zugehen, warum ist das bei mir nicht so”.
Was diese Menschen nicht sehen, ist das große Risiko, dass Du eingegangen bist – indem Du die Sachen machst, von denen andere nur träumen, gehst Du auch das Risiko ein, dass sich diese Träume als gar nicht mal so großartig herausstellen. Und indem Du Dein Wohlergehen auch ein Stück weit vermarktest, in Form von Seminaren, etc. bist Du allein auch für Dein Glück oder Unglück verantwortlich und kannst keinen Arbeitgeber dafür verantwortlich machen.
Was mich an dem Bild, das Du in Deinen Beiträgen zeichnest, ein wenig stört, ist der aus meiner Sicht fehlende Blick auf die Gesellschaft als Ganzes. Will sagen: Wenn wir alle zu Jägern nach dem Glück werden, steht am Ende eine Gesellschaft aus Egoisten da. Wer aber ist dann da, um der bettlägerigen Mutter den Hintern abzuwischen? Wer bringt den stinkenden Müll weg? Wer macht die langweiligen, aber notwendigen Tätigkeiten, die unsere arbeitsteilige Gesellschaft mit sich bringt? Du kannst das natürlich ausblenden und sagen, dass Dein Glück erstmal an erster Stelle steht und Du nur dann der Gesellschaft was zurückgeben kannst. Da würde ich gerne Deine Sicht der Dinge hören.
Und das Argument mit den Kindern ist tatsächlich auch nicht wegzuwischen – Du hast Dich offensichtlich dazu entschieden, keine Kinder zu haben. Das finde ich völlig ok und das ermöglicht Dir, diesen Lebensstil zu führen, den Du beschreibst. Das Leben mit Kindern ist aber notwendigerweise eingeschränkter – sobald Du Entscheidungen für jemand treffen musst, der die Tragweite nicht selbst abschätzen kann, wird’s einfach kompliziert.
Ganz unkompliziert sag ich jetzt aber mal danke für Dein Blog – ich finds richtig gut gelungen und erkenne in Dir jemand, der mit großer Ernsthaftigkeit und dem nötigen Humor auf der Suche nach dem richtigen Leben für sich ist. Und das finde ich gut.
Viele Grüße,
Markus
Lieber Markus,
das freut mich, dass ich dir in Momenten großer Verzweiflung helfen konnte. Und vor allem, dass es dir wieder besser geht.
Ich will ehrlich gesagt nicht näher auf deine Fragen eingehen, weil du meine Antworten darauf kennst, wenn du meinem Blog schon länger liest und ich aufgehört habe, mich für das, was ich tue zu rechtfertigen und kleinzumachen.
Ich würde dich gerne fragen:
Warum haust du ausgerechnet einem Menschen, der dir augenscheinlich in schwierigen Situationen geholfen hat, kaum dass es dir besser geht mal ordentlich was um die Ohren? Was ist das Ziel deines Kommentars und was sagt er über dich aus (und nicht über mich)?
Fühl doch mal einfach all die aufgezählten Triggerpunkte bei dir selbst, bevor du mir erzählst, dass ich nicht so sein, handeln oder denken darf wie ich tue. Dann nämlich wird die Welt automatisch besser.
Und das mit dem Kinder haben ist ausgesprochen übergriffig. Wir hatten lange Jahre keinen sehnlicheren Wunsch und er ging nicht im Erfüllung. Wenn du mir daraus den Vorwurf des Egoismus ableiten magst, dann tu das.
Herzliche Grüße
Mischa
Lieber Mischa,
es tut mir leid, wenn ich an alte Wunden bei Dir gerührt habe oder Dich mit meinen Worten verletzt habe – das lag mir fern. Ich habe tatsächlich noch einmal darüber nachgedacht, warum ich den Drang verspürt habe, Deinen Artikel in dieser Form zu kommentieren.
Ich glaube, was mich am meisten bewegt, ist die Schilderung Deines Lebensweges, die ich bemerkenswert offen und ehrlich finde. Und ich glaube, in dieser Ehrlichkeit uns selbst gegenüber liegt der Schlüssel dafür, uns letzten Endes so annehmen zu können, wie wir sind.
Gleichzeitig merke ich aber, dass ich hinter dem Dreh ins Positive, den Du schilderst, eine große Gefahr lauern sehe – nämlich die Annahme, dass wir nur einen Schritt zu tun brauchen, um von ängstlichen zu mutigen, von unglücklichen zu glücklichen Menschen zu werden. Aus meiner Sicht sind das viele Schritte, die mit Konflikten, Unsicherheiten und Ängsten verbunden sein können. Aber nur, wenn ich auch diese vermeintlich negativen Seiten als Teil von mir selbst akzeptiere, bin ich komplett ehrlich zu mir. Wahrscheinlich siehst Du das ähnlich, aber in Deinen Texten finde ich diese Seite etwas zu wenig beleuchtet.
Auf keinen Fall will ich Dir erzählen, dass Du nicht so sein darfst, wie Du bist – mein Rat ist nur, die Auswirkungen, die Dein Handeln auch auf andere hat, mit in Deine Überlegungen mit einzubeziehen (aber Dich nicht davon bestimmen zu lassen!). Wahrscheinlich machst Du auch das schon, aber auch hier urteile ich natürlich wieder nur auf Basis der Texte, die ich von Dir gelesen habe. Und daraus scheint sich für mich die Gefahr, die ich in meinem ersten Kommentar erwähnt hatte: Dass wir bei allem berechtigten An-uns-selbst-Denken auch unsere Umwelt (menschlich wie natürlich) im Auge behalten sollten.
Und mit dem Hinweis auf Kinder wollte ich nicht übergriffig sein – es ist natürlich traurig, dass Euer Wunsch nicht in Erfüllung gegangen ist. Und was es an Alternativen gibt, wie Pflegekinder etc, darüber muss ich Dir bestimmt nichts erzählen, weil Ihr Euch bestimmt damit beschäftigt habt. Ich hab auch hier nur einen Vorschlag für Dich, über den Du vielleicht nachdenken magst: Aus eigener Erfahrung und der von Freuden weiß ich nur zu gut, wie anstrengend und teilweise überfordernd das Leben mit Kindern sein kann – es gibt in solchen Momenten kaum etwas Schöneres als einen Freund, der sagt: “Komm, ich kümmere mich mal für ein paar Stunden um die Kleinen”. Das ersetzt natürlich keine eigenen Kinder, aber mit so einer Aktion könntest Du womöglich einige Menschen sehr glücklich machen und gleichzeitig Zeit mit Kindern haben.
In diesem Sinne, nichts für ungut & weiterhin Kompliment dafür, die Welt an Deinem Innersten teilhaben zu lassen
Markus
So sei es 🙂
Und wie du sagst: Jeder liest das heraus, was er herauslesen will. Wenn du ausgerechnet auf meinem Blog nichts zu Konflikten, Unsicherheiten und Ängsten findest, dann hast du in der Tat sehr selektiv gelesen 😉
Und ich ziehe wirklich nichts in meine Überlegungen mit ein, weil ich aus dem Bauch heraus handle und damit all die Jahre gut gefahren bin. Ich erziele auch bei meinen Coachigs und Seminaren exzellente Ergebnisse dadurch. Mich gibt es eben nur so, wie ich bin. Wen das anzieht, der arbeitet mit mir und liest den Blog. Wer das gerne anders hätte, der geht. Meine Welt ist wirklich so einfach. Und genau deshalb konnte ich die großen Schritte gehen.
Lieber Micha,
eine sehr wichtige Botschaft!
Vor einem Jahr wurde ich vermehrt mit dem Thema Sterben/Endlichkeit konfrontiert. Das gab mir so einen heftigen Tritt in den Hintern, dass ich nur noch vorwärts gehen konnte. Nicht nur von den schönen Dingen träumen, sondern diese auch angehen. Das Leben zu nutzen! Ich bekam dabei so viele Selbstzweifeln und Ängste. Dennoch blieb ich dran und übernahm die Verantwortung für mich. Das ist besonders am Anfang kein Zuckerschlecken gewesen! Heute bin ich dankbar, dass ich mich damals so gepusht habe.
Viele Grüße
Anita
Liebe Anita,
danke, dass du diese wertvolle Erfahrung mit uns teilst! Nämlich, dass wir selbst uns jederzeit für kräftige neue Schritte entscheiden können – und dass damit eben nicht alles sofort rosarot bemalt ist, sondern dass das Gefühlsleben dabei ziemlich in Wallung geraten kann 😉 Doch es gibt keinen anderen Weg und langfristig jubeln wir über all unseren Mut und dass wir uns auch von Zweifeln nicht haben abbringen lassen.
Herzliche Grüße
Mischa