Auf meiner Deutschland-Tour habe ich ein bemerkenswertes Buch geschenkt bekommen. What to do when it’s your turn (and it’s always your turn) vom großartigen Autor Seth Godin. (Nochmal lieben Dank, Sandro!)
Beim Lesen hat mich ein Satz gefesselt, über den ich inzwischen mit vielen Menschen gesprochen habe: “Freiheit ist unser größtes Problem und unsere größte Chance.” Wow, der sitzt. Oder?
Freiheit war ein zentrales Thema meiner Begegnungen. Immer wieder kamen die Fragen: Was ist Freiheit? Wie definiert der Einzelne Freiheit für sich? Was ist so faszinierend an Freiheit? Und warum verzichten so viele Menschen auf die Möglichkeiten, ihre Freiheit auszuleben?
Zumindest die letzte Frage beantwortet sich für mich ziemlich schnell: aus Angst. Aus Angst …
- nicht geliebt zu werden
- nicht mehr dazuzugehören
- aus dem Rahmen zu fallen
- zu ihrer wahren Größe zu wachsen
- vor der Konsequenz des eigenen Mutes
- sich zu zeigen
- vor Veränderung
- vor Unsicherheit
- vor finanziellen Folgen
- nicht mehr die Opferrolle einnehmen zu können
Es sind nicht Verpflichtungen, Zwänge, Umstände oder was auch immer. Es ist einzig die Angst. Wer Anderes behauptet, hat schon wieder eine gute Ausrede gefunden.
Die Angst hechelt der Freiheit hinterher
Mit dieser Meinung ecke ich immer wieder an. Gleichzeitig rücke ich keinen Zentimeter davon ab. Aus dem einfachen Grund, dass ich am eigenen Leib erfahren habe, wie riesig sich der Unterschied zwischen Problem und Chance der Freiheit anfühlt.
Früher hatte ich viel zu viel Schiss vor einer freieren Lebensgestaltung. Heute lebe ich an vielen Stellen meine Freiheit so aus, dass die Angst nur noch hinterher hechelt und kaum mehr die Kraft hat, sich zu melden.
Wer dagegen die Möglichkeiten der Freiheit ignoriert, hat die beste Chance, für immer von der Angst begleitet zu werden.
Oder kurz gesagt: Der durch die Prärie galoppierende Cowboy hat mehr vom Leben als jemand, der freiwillig im selbst gebauten Gefängnis sitzt.
Roadtrip heißt: Freiheit ganz intensiv erleben
Deshalb entscheide ich mich so kräftig für die Chancen der Freiheit, weil sich dieses Leben deutlich stimmiger für mich anfühlt.
Besonders intensiv spüre ich das auf meinen Roadtrips. Neue Orte, neue Menschen, keine festen Pläne, draußen sein, Neues probieren, viel Zeit mit mir selbst verbringen.
Wie mich die Freiheit beschwingt, spüre ich direkt. Wie in den billigsten deutschen TV-Schmonzetten gröle ich mit herunter gelassener Scheibe meine Lieblingslieder mit, bekomme kaum das Grinsen aus dem Gesicht, gehe mit sandverkrusteten Waden in ein Restaurant (danke Alex für den Hinweis, dass so etwas völlig okay ist) und probiere einfach mal aus, wie sich offizielles FKK-Baden so anfühlt (viel besser als erwartet).
Gleichzeitig heißt Freiheit für mich auch auszuhalten, dass ich anders bin. Wer das nicht glaubt, stelle sich einfach mal als allein reisender Mann um die 40 für ein paar Tage auf einen Campingplatz.
Keine Frau dabei, keine Kinder, kein Hund. Noch nicht einmal eine Satellitenschüssel. Die Blicke der Nachbarn reichen von spürbarem Mitleid bis zur (nicht ausgesprochenen) Frage: Alien? Verrückter? Kinderschänder? Oder alles drei zusammen?
Freiheit heißt auch, nicht immer geliebt zu werden
Genau das macht für mich den Reiz der Freiheit aus. In diesen Momenten gehöre ich nicht dazu, falle aus dem Rahmen, werde ich nicht geliebt.
Und das ist völlig okay. Die Freiheit, anders zu sein, tut manchmal weh und gleichzeitig wachse ich daran. Aus einem solchem Grund nicht zu reisen oder erst, wenn ich Begleitung habe, wäre eine Niederlage für mich.
Letztlich ist das meine Definition von Freiheit: Dinge zu tun, weil ich sie unbedingt will – ohne Garantie, dass mir deshalb ausschließlich die Sonne aus dem Hintern scheint.
Das betrifft auf der einen Seite die nach außen sichtbare Freiheit. In meinem Fall die berufliche Selbstständigkeit, das ortsunabhängige Arbeiten und meine VW-Bus-Touren.
Was bedeutet innere Freiheit?
Auf der anderen Seite – für mich noch wichtiger – die Freiheit im Inneren. Ganz explizit bedeutet Freiheit für mich:
- Die Bereitschaft, auf meine eigenen Bedürfnisse zu hören und nicht den Ansprüchen anderer hinterherzuhecheln.
- Dinge auszuprobieren, ohne eine Garantie, was daraus wird.
- Zu mir und meine Lebensführung bedingungslos zu stehen und mir nicht reinquatschen zu lassen.
- Anzuerkennen, dass ich Gestalter, nicht Opfer bin und zu den Konsequenzen meines Handelns zu stehen.
- Unkonventionelle Wege zu gehen und auszuhalten, dass ich kein gutes Beispiel für gesellschaftlich anerkannte Normen bin (“das macht man doch nicht, seine Frau einfach 4 Wochen allein zu Hause zu lassen!”)
Apropos: Natürlich hoppst meine Frau nicht jedesmal glückselig durch den Garten und schießt Freuden-Feuerwerke ab, wenn ich mich für eine Weile verabschiede.
Gleichzeitig weiß sie, wie es ist (war), jahrelang mit einem extrem ängstlichen und teils depressiven Mann zusammenzuleben. Deshalb zieht sie den fröhlichen Vagabunden einem panischen Stubenhocker vor.
Wie definierst du Freiheit?
Mein Ansatz von Freiheit ist nur einer von vielen möglichen. Ich passe meine Definition und Ausrichtung immer wieder an, ohne dabei die Grundsätze aus den Augen zu verlieren.
Ich habe mit Menschen gesprochen, die sofort mit mir tauschen würden und mit solchen, für die so ein Leben niemals in Frage käme.
Für die einen bedeutet Freiheit, als Online-Unternehmer selbstständig zu sein. Für die anderen, als Angestellter sich nicht andauernd um Akquise, Geldeingänge und Umsatzsteuer-Voranmeldungen kümmern zu müssen und im Urlaub getrost drei Wochen auf den Rechner verzichten zu können.
In einem waren sich alle einig: Freiheit beginnt dann, wenn du Dinge aus voller Überzeugung tust und nicht, weil du dich durch irgendwas oder irgendwen dazu verpflichtet fühlst.
Das kostet Mut, macht immer wieder Angst. Und ist dadurch die beste Möglichkeit, dauerhaft mutiger zu werden und sein Leben nicht mehr von der Angst bestimmen zu lassen.
Mein Fazit
Für mich ist Freiheit weit mehr als ein Schlagwort, Freiheit ist mein höchster Wert, Lebenseinstellung, Motivation, Glücklichmacher.
Die Frage nach Problem oder Chance hat sich damit hinlänglich beantwortet.
Meine brennende Frage: Wie definierst du Freiheit? Wie frei oder unfrei fühlst du dich? Welche Zwänge bestimmen dein Leben, denen du entfliehen willst? Ich freue mich auf deinen Kommentar!
Hey Mischa,
wieder ein mal ein genialer Text! Merci! Keep going!
Herzliche Grüße,
Carolin
P.S.: Inzwischen kennst du ja zum Glück sehr viele so durchgeknallte Menschen, die *anders* sind. Tut ja zwischendurch auch mal gut zu wissen, dass man mit dem Andersein gar nicht so alleine ist 😉
Hey du Durchgeknallte,
an dich habe ich beim Schreiben des Textes ein paarmal gedacht 🙂
Wir werden immer mehr und das ist auch gut so. Und selbst wenn wir nicht mehr werden, reicht es mir zu glauben, dass es so ist bzw. sich in meiner kleinen Welt so anfühlt.
Ganz liebe Grüße
Mischa
Solange ich mich über meine Freiheit Gedanken mache, sie benutze als z.B. Glücklichmacher und Motivator, solange bin ich hochgradig unfrei. Ich bin in jeder Sekunde meines Lebens frei zu wählen, zu entscheiden und zu sein. Da gibt es kein tun oder handeln. Einfach nur SEIN. Im Job, in der Partnerschaft etc. Freiheit ist für viele Menschen nicht normal, dennoch natürlich. Daher gibt es nichts zu tun um noch freier zu sein, als man ja schon ist =)
Lieben Gruß
Hi Matthias,
interessanter Ansatz. In dem Fall bin ich also noch hochgradig unfrei, da ich mir drüber Gedanken gemacht habe. Ist egal, für mich fühlt es sich ziemlich gut an 😉
Auf die Freiheit!
Liebe Grüße
Mischa
Hi Mischa,
wie immer: super Text. Unterschreib ich dir in lautem Einverständnis 😉
Lasst uns weiterhin frei und anders sein !!! Es macht süchtig.
Gruss
Hi Kat,
lass uns frei und anders und laut sein! Die schönste Sucht 🙂
Liebe Grüße
Mischa
Hi Mischa, hast Du in letzter Zeit zu viel Sartre oder andere Existentialisten gelesen? 😉
Er nennt den Vorgang seine Freiheit abzugeben um nicht entscheiden zu müssen Unaufrichtigkeit und so seh ich das auch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Unaufrichtigkeit_(Sartre)
Servus Florian,
oh nein, Sartre hatte ich schon seit der Schulzeit nicht mehr in der Hand. Hab ihn auch gar nicht vermisst 😉
Danke für den Link und liebe Grüße
Mischa
Hey Mischa!
Cooler Text, coole Sau! Alleine campen, einfach mal nackt baden und dreckig sein, wo es sich nicht gehört. Ich hab mir letztes Jahr erlaubt, im gerade noch gebärfähigen Alter von Ende dreissig im unbefristeten Arbeitsvertrag auf der oberen Stufe der Karriereleiter zu kündigen, um ohne meinen Mann (!) ein halbes Jahr mit meinem Kite in Südostasien dem folgen. Dabei hab ich gemerkt, wieviel Inneres Gefängnis ich mir selbst aufgebaut habe, kein Geld zu verdienen, meinen CV zu ruininieren, keinen Job mehr zu finden. Als ich die Entscheidung getroffen hatte, kamen noch sehr viele Bedenken aus meinem Umfeld, ohne Mann, ganz allein, wie kannst du dir das leisten, wie geht das mit deiner Bandscheibe, was wenn du keinen Job mehr findest, wie gefährlich das ist auf den Philippinen… Etc. Vor der Reise selbst hab ich erst im Flugzeug Angst bekommen und musste dann über mich lachen und weinen, denn ich war frei. Zu entscheiden, ob ich bleibe, wiederkomme, weiterreise, wohin, mit wem, wann. Das war die beste Reise überhaupt. All diese Ängste waren unbegründet und ich bin so viel entspannter in mein altes Leben zurückgekehrt. Trotzdem hab ich immer wieder dieses Zwicken.. Dass ich anders bin, dass es mich einsam macht, meine verrückten ( oder eben anderen) Ideen auszuleben. Dennoch je mehr ich das tue, desto mehr finde ich oder finden mich die Menschen, die zu mir passen. Das ist ein wundervolles Geschenk. Und dann gibt es ja noch Helden wie dich, die mir zeigen, dass ich gar nicht alleine bin. Voll gut, weiter so!
Hi Sabine,
du ziehst so ne Nummer ab und bezeichnest MICH als coole Sau? Du bist doch die coolste von allen! 😉
Super genial, was du dich getraut hast und wie gut dir das getan hat. Irgendwie ist das Rezept immer das gleiche, nur vergessen wir zu oft, es einzulösen. Schönes Wortspiel, extra für dich als Ärztin 🙂
Insofern sind wir beide Helden und vielleicht schreib ich dich mal wegen Kitesurfen an. Das steht bei mir auch noch auf dem Plan.
Ganz liebe Grüße und mach weiter so mit deinen verrückten Idee
Mischa
Hallo Mischa,
ich war immer schon anders als andere Kinder! Freiheit bedeutet mir sehr viel, mehr als immer geliebt zu werden. Doch die Angst schwingt immer ein bisschen mit. Sie kommt und geht wieder.
Liebe Grüße
Renate
Hi Renate,
ich denke, die beiden Sachen gehören zusammen. Freiheit kann Angst machen, doch gleichzeitig werden wir durch (innere) Freiheit auch immer mutiger und machen Dinge, selbst wenn wir Angst haben. Ist zumindest meine Erfahrung.
Ganz liebe Grüße
Mischa
So!
“Freiheit beginnt dann, wenn Du Dinge aus voller Überzeugung tust, und nicht weil Du Dich durch irgendwas oder irgendwen dazu verpflichtet fühlst!”
Bäämm! Aber genau so.
Den Satz drucke ich mir mal ganz fett aus und hänge ihn überall hin – genial!
Danke dafür und herzliche Grüße
Anne
Lieber Mischa,
das ist ein sehr guter Artikel. Ich habe selbst auch die Erfahrung gemacht, wie man die Ängste nach und nach überwindet und die innere Freiheit erreicht. Die ersten Soloreisen vor 12 Jahren waren bei mir der erste Schritt. Nach der Geburt meines Sohnes litt ich sehr darunter, dass ich nicht mehr reisen kann – mein Mann hatte Flugangst. Dann flog ich alleine mit unserem Sohn nach Mallorca (der Papa lies mich am Flughafen alleine mit unserem 6-Monate altem Baby im Stich, obwohl er mitfliegen wollte). Im Urlaub hatte panische Angst und machte mir dauernd gedanken “Was denken die Leute im Hotelrestaurant, an der Promenade, am Strand – Frau alleine mit einem Baby im Urlaub”. Es gefiel mir aber so gut, dass ich mich traute, weitere Urlaube auf den Kanarischen Inseln und am Mittelmeer mit meinem Sohn zu machen – später auch mit Freundinnen und meiner Mama. Nach drei Jahren machte es mir nichts mehr aus, was die anderen Leute über “Frau alleine mit Kind im Urlaub” denken. Besonders mutig war ich aber immer noch nicht. Vor 7 Jahren verlies ich meinen unpassenden Ehemann und musste das Leben für mich und meinen kleinen Sohn neu organisieren (Wohnung, Möbel, Büro für meine Firma etc.). Am Anfang hatte ich panische Angst, konnte nicht schlafen, aber als ich die Aufgaben bewältigte, war ich wieder ein Schritt weiter und viel mutiger. Die Wochenenden ohne meinen Sohn verbrachte ich meistens alleine, war viel an der frischen Luft unterwegs, fing an Sport zu machen und fühlte mich schon sehr wohl alleine. Mein neuer Partner, den ich vor 5 Jahren kennengelernt habe, zeigte mir, was man alles Tolles in der Freizeit unternehmen kann – Bergwanderungen, Fernwanderungen, Radtouren, Langlaufen und Schneeschuhwanderungen sind heute meine großen Leidenschaften. Ich sammelte so viel Erfahrung, dass ich jetzt immer wieder alleine in den Bergen den ganzen Tag unterwegs bin, auf Zweitausender gehe und leichte Winterwanderungen unternehme. Im letzten Jahr war ich alleine 8 Tage auf dem GR20 auf Korsika unterwegs, einem der schwierigsten Fernwanderwege Europas. Richtig alleine wanderte ich nicht – ich lernte viele nette Wanderer aus ganz Europa kennen.
Heute bin ich frei von den meisten Ängsten und glücklich, dass ich so viel Zeit für meine Leidenschaften habe. Mein Leben ist ganz anders als das Leben meiner Freunde, Familie und Bekannten. Was die anderen Leute meinen, interessiert mich nicht. Und wenn ich mich etwas anpassen muss, dann nur wegen meines Sohnes.
Ich habe keine Angst mehr, anders zu sein. Ganz im Gegenteil – gerade zu Weihnachtszeit frage ich mich, warum sich die meisten Menschen so mit der Weihnachtsvorbereitung stressen und die Worte der Konsumindustrie wie Papageien wiederholen “Weihnachten, das Fest der Liebe, ist die schönste Zeit des Jahres” ?.
Liebe Grüße
Ina