Keine Angst: Das ist kein Aufruf zum Menschenhandel. Eher zum Menschen-gut-behandeln. Zum Menschen-mögen. Zum Sich-an-Menschen-erinnern.

Warum ich das gerade heute schreibe? Weil ich vergangene Woche bei meinem Surfkurs unheimlich tolle Menschen kennengelernt habe. Weil wir eine großartige Truppe waren inklusive meiner Frau, die stundenlang unsere heldenhafte Versuche fotografiert hat. Weil diese unvergessliche Zeit nun vorbei ist und meine Frau nach Hause geflogen ist. Weil ich mich deshalb heute ein wenig fühle, wie wenn ich zu früh von einer großartigen Party herausgeworfen wurde. Allein auf dem Heimweg. Traurig. Ein wenig Reise-verkatert.

Ja, ich habe heute den Blues. Selten fiel es mir so leicht, den Song des Tages auszuwählen. Aus meiner ersten großen Reisekrise in Finnland habe ich aber gelernt. Hadern bringt mich keinen Millimeter weiter.

Dankbarkeit gegen den Blues

Deshalb habe ich heute beschlossen, mir als Gegenmaßnahme ganz konsequent die wunderbaren Begegnungen meiner Reise in Erinnerung zu rufen. Dankbar zu sein für alles, was mir bisher Positives widerfahren ist. Und das war verdammt viel.

Ich behaupte: Jedes Aufeinandertreffen mit anderen Menschen auf einer Reise (ja, auch die unangenehmen), jedes inspirierende Gespräch, jeder neue Kontakt, jeder interessante Lebensentwurf, von dem du erfährst, bringt dir am Ende hundertmal mehr als alle Sehenswürdigkeiten und tollen Landschaften zusammen.

Ein fester Platz in meinem Reise-Setzkasten

Deshalb habe ich in der Überschrift auch plakativ vom „Menschen sammeln“ geschrieben. Natürlich kann und will ich niemanden in Besitz nehmen, so wie es ein Auto- oder Briefmarkensammler tut. Aber ich greife mir die Erinnerung und stelle sie in meinen geistigen Reise-Setzkasten. Andere Reiseerlebnisse sind austauschbar. Einzig die Menschen haben in diesem Kasten einen festen Platz.

An was erinnerst du dich zuerst, wenn du an deine letzte Reise denkst? Von was erzählst du daheim zuerst? Vom stylishen Hotel, dem alten Dom, dem netten Strand?

Oder von:

– La Nonna, die dich in dem toskanischen Bergdorf so himmlisch bekocht hat,  dir zu jedem Gang minutenlang Geschichten erzählt hat und dir das Gefühl gegeben hat, dass du schon zur Familie gehörst?

– Dem australischen Paar, das am Lago Maggiore zu dir an den Tisch gesetzt wird und mit dem du den lustigsten Abend seit Langem verbracht hast?

– Dem norwegischen Kajak-Lehrer, der alles von deiner Lebensgeschichte erfahren will, sich dann sofort Gedanken macht, wie deine berufliche Zukunft aussehen soll und dich für den Winter in sein Haus einlädt?

– Dem deutschen Ehepaar auf dem Campingplatz, das dich spontan zum Abendessen einlädt, weil es sieht, dass du allein bist, und mit dem du danach zwei lange, witzige Abende verbringst?

– Dem südafrikanischen Surflehrer, dessen Lieblingswort „Luftpumpe“ ist, der alle mit seiner Begeisterung mitreißt und dessen Frau so himmlisch kochen kann?

– Dem österreichisch-polnischen Pärchen, das so glücklich darüber ist, dass du es nur ein paar Kilometer weit mit nimmst, weil es nach einer mehrtägigen Bergwanderung komplett ausgelaugt ist und für das du gerne all dein Bus-Gerümpel zusammenschiebst, damit die beiden Platz haben?

Das sind für mich die Gründe, weshalb ich auf Reisen bin. Weil du Dinge erleben kannst, die (in der Regel) in keinem Reiseführer stehen. Weil du selbst verantwortlich für deine Erlebnisse bist.

Das Reiseführer-Dilemma: Abhaken und Abfotografieren

Denn ganz egal, ob ADAC, Marco Polo oder Lonely Planet: Mit deinem Reiseführer in der Hand gibst du Verantwortung an den Autor des Werkes ab. Er soll dich zu den großartigen Orten führen, an denen dann aber überraschenderweise schon Hunderte oder Tausende anderer Menschen sind. Er unterstützt letztlich nur das Abhaken und Abfotografieren. Oder wie es zwei junge deutsche Frauen formuliert haben, deren Gespräch ich in Riga belauscht habe: „Was müssen wir jetzt noch alles fotografieren?“

Deshalb lautet mein Credo: Schmeiß den Reiseführer weg (oder kaufe ihn erst gar nicht), sondern fahr dorthin, wo du willst und mache deine eigenen Erfahrungen. Du gehst mit offeneren Augen durch unbekanntes Terrain und wirst automatisch öfter Menschen vor Ort nach ihren Empfehlungen fragen. Und allein daraus kann sich schon wieder ein nettes Gespräch ergeben.

Das Fazit:

Ohne Reiseführer wirst du anders reisen. Flexibler, spontaner, offener. Das verschafft dir mehr Möglichkeiten für überraschende Begegnungen und Orte, die du nie auf irgendeiner Liste hattest. Vorausgesetzt, du gehst mit offenen Augen und offenem Herzen durch die Welt. Zur Absicherung hast du ja immer noch Google Maps auf deinem Smartphone und diverse Internetseiten zum Informieren. Probiere es einfach mal aus!

Eine Anekdote zum Schluss

Für meine Reise hatte ich mir extra ein „Sammelalbum“ angelegt. Ein schönes, großes Notizbuch, in dem auf der Titelseite drei Fragen stehen, die ich jedem stellen wollte, mit dem ich auf meiner Tour intensiver zu tun habe (plus ein Foto als Erinnerung). Bis auf Familie und Freunde gab es da aber bisher noch keinen einzigen Eintrag. Warum? Weil ich noch nie, während ich gerade in guten Gesprächen mit unbekannten Menschen war, auch nur eine Sekunde an das Büchlein gedacht habe. Weil ich diese Momente nur genieße und alles andere währenddessen ausschalte. Aber vielleicht nutze ich ja den vielen freien Raum und schreibe am Ende der Reise meine Erlebnisse mit diesen Menschen selbst hinein…

Foto: © Depositphotos.com/olesiabilkei