Da ist sie wieder, die vertraute Stimme.

“Du bist zu blöd. Zu hässlich. Zu alt. Zu fett. Zu ungeschickt. Zu schüchtern. Zu unsportlich. Zu schwach. Zu ängstlich.”

“Du kriegst doch eh nie was zu Ende. Hast noch so viele Baustellen im Leben. Stellst dich bei den einfachsten Sachen immer so an. Brauchst für alles so lang. Kriegst die Dinge nicht gebacken.”

“Schau doch die anderen an, wie sie das alles locker aus dem Ärmel schütteln: Perfekte Beziehung, perfekte Kinder, perfekter Job, perfektes Haus und gut sehen die auch noch aus. Mann, du Versager!”

Echt cool, wenn dein innerer Kritiker wieder hoch bezahlte Vorträge hält, oder? Und du hörst ihm zu und applaudierst. Wie recht der Mann doch hat. Genau so ist es. Genau so erlebst du es Tag für Tag.

STOPP!

Der Typ lügt wie gedruckt. Er ist ein Aufschneider, ein Heiße-Luft-Produzent, der nur deshalb so berühmt wurde, weil du auf sein geschicktes Marketing reingefallen bist.

Dein innerer Kritiker will dir gar nicht helfen

Du dachtest immer, er will dir helfen, dich korrigieren, dich antreiben, dir ein realistisches Bild von dir selbst machen.

Nein, will er nicht. Er will nur, dass du dich schlecht fühlst, dass du nicht zu übermütig wirst, dich nur nicht zu viel traust oder gar ein gesundes Selbstbewusstsein entwickelst.

Falls du den Entschluss gefasst hast, in Zukunft etwas öfter als bisher gut zu dir zu sein – warum du das tun solltest, erkläre ich später, wahrscheinlich weißt du es schon -, dann solltest du dir bewusst sein, wie viel Einfluss dieses 24-Stunden-Radio auf dich hat.

Und du könntest anfangen, dir die Frage zu stellen, welchen Umgang du mit dem Menschen pflegen willst, mit dem du 24 Stunden am Tag zusammen bist. Also mit dir selbst.

Denn ich gehe mal einfach davon aus, dass du dich nicht traust, genauso beleidigend mit Familie, Freunden und Kollegen zu reden wie den ganzen Tag mit dir selbst.

Stimmt deine eigene Geschichte?

Das Lustige dabei: Es ist nur eine Geschichte. Du hast sie über all die Jahre zusammengesponnen und dir selbst (wahrscheinlich auch genug anderen Menschen) immer und immer wieder erzählt.

Was du alles nicht kannst, was deine Schwachpunkte sind, warum die Dinge sind, wie sie sind und sich entwickelt haben, wie sie mussten. Am besten noch garniert mit einem “So bin ich halt.”

Die Frage ist: Willst du diesen Käse ewig weitererzählen? Oder erlaubst du dir, mal in eigener Sache zu recherchieren und deine Geschichte zu hinterfragen?

Dabei wirst du höchst wahrscheinlich herausfinden: Was du dir Tag für Tag erzählst, bist gar nicht du in deinem innersten Kern. Es handelt sich nur um die Summe der Dinge, die dir eingeredet worden sind oder die du dir selbst eingeredet hast und die negativen Gefühle, die du damit verknüpft hast.

Natürlich gibt es Dinge, die dir nicht so gut liegen. Gibt es Fähigkeiten, bei denen andere Menschen dir weit voraus sind. Hast du Erfahrungen gemacht, die du lieber vergessen willst.

Wie lange willst du dich noch wüst beschimpfen lassen?

Aber ist das Rechtfertigung genug, um dich Tag für Tag von deinem inneren Kritiker wüst beschimpfen zu lassen? Der dir weismachen will, dass du deshalb leidest, weil du so bist wie du bist und die Welt um dich herum so ist, wie sie ist.

Und das ist die größte Lüge von allen. Denn du leidest deshalb, weil du diesem Dauer-Gemaule in deinem Kopf glaubst, das ständig neue schlechte und ängstliche Gefühle bei dir auslöst.

Der Tag, an dem du anfängst, diese Selbstsabotage zu verstehen, wird in deinem Leben viel ändern.

Die krasse Erkenntnis: Rote Ohren sind gar nicht so schlimm

Mir ging es vor dreieinhalb Jahren so. Eine Weile hatte ich mich gefragt, wie ich nur wenige Wochen nach dem tiefsten Punkt in meinem Leben so unglaubliche Fortschritte machen konnte. Wie ich einen Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik geradezu genießen konnte.

Bis mich die krasse Erkenntnis traf: Ich hatte aufgehört, mich dauernd dafür zu verurteilen, wie ängstlich, nervös, zittrig, fahrig, panisch und wenig entspannt ich war.

Die anderen waren ja genauso verrückt, hatten dieselben Themen und Probleme.

Plötzlich musste ich mich nicht mehr schämen und geißeln. Nicht vor roten Ohren und Bäckchen bei meinen Vorträgen. Nicht für die Unruhe, wenn wir beengt gesessen sind. Nicht für meine Angst vor der Höhe und nicht für meine Tränen.

Ich habe mir selbst gestattet, so zu sein, wie ich bin. Ich war endlich gut zu mir. Und die anderen mochten mich genau so, wie ich bin.

Das war der Beginn einer neuen Ära. Mein Selbstwertgefühl ist quasi explodiert. Viele Ängste sind allein dadurch verschwunden.

Hört sich zu schön an, um wahr zu sein? Sorry, komplizierter kann ich die Geschichte leider nicht machen.

Wie wäre es, mit deinem inneren Kritiker zu spielen?

Jetzt wünsche ich dir keinen Klinikaufenthalt, um besser mit deinem inneren Kritiker umgehen zu können. Was kannst du also konkret tun?

Am besten ist es, wenn du ihn bewusst wahrnimmst. Du wirst ihn eh nie vollständig zum Verstummen bringen, also lass ihn labern.

Und dann fang an, mit ihm zu spielen. Verändere nicht seine Worte, aber seine Stimme. Lass ihn kreischen oder brummeln, extrem langsam oder super schnell sprechen. Such dir irgendeine Stimmlage oder einen Dialekt aus, den du lustig findest.

Ich verspreche dir: Wenn dein innerer Kritiker jetzt loslegt, du es merkst und ihm die neue Stimme verpasst, wirst du lachen. Das lässt sich gar nicht verhindern.

Du kannst ihn nicht mehr ernst nehmen. Und wenn du ihn nicht mehr ernst nehmen kannst, können seine Geschichten auch keine Bedeutung mehr für dich haben. Stimmt’s?

Die beste Geschichte, die sich mein innerer Kritiker kürzlich ausgedacht hatte, lautete: “Lasst euch lieber nicht von eurer Freundin zum Flughafen fahren, sondern fahr selbst. Denn was ist denn, wenn du dort Panik bekommst und gar nicht mit nach Sardinien fliegst? Dann hättest du wenigstens ein Auto am Flughafen, mit dem du nach Genua fahren und mit dem Schiff nachkommen könntest.”

Lustig, oder? Ich habe darüber auch herzlich gelacht. Und bin, nachdem uns die Freundin zum Flughafen gebracht hatte, ohne zu zweifeln in das Flugzeug gestiegen, weil ich meinem Kritiker die Geschichte einfach nicht abgekauft habe.

Du hast die Wahl, gut zu dir zu sein

Es gibt also eine echte Wahl: Entweder du glaubst deinem inneren Kritiker die alten Langeweiler-Geschichten, die dich nur runterziehen. Das passiert sowieso immer wieder mal.

Oder du lässt ihn labern, nimmst das bewusst wahr und lachst über die Katastrophenszenarien, die er wieder entworfen hat.

Wenn dir das gelingt, wirst du ziemlich sicher noch in weiteren Bereichen gut zu dir sein:

Es lohnt sich also, dem Clown in deinem Kopf nicht alles zu glauben und dich nicht ununterbrochen beschimpfen und quälen zu lassen.

So ganz nebenbei wirst du noch mutiger, selbstbewusster, zufriedener, dankbarer. Du vertraust dir mehr, schläfst besser und hast eine positivere Ausstrahlung auf andere Menschen.

Apropos: Wenn du glaubst, das Leben deiner Freunde oder Nachbarn sei perfekt, dann frag sie doch mal, welche Geschichten deren innerer Kritiker so drauf hat. Möglicherweise stellst du fest, dass auch ihr Radio immer dieselbe Melodie spielt …

Welcher Erfahrungen hast du mit deinem inneren Kritiker gemacht? Hält er dich von wichtigen Dingen ab und macht dir Angst? Oder hast du einen entspannten Umgang mit ihm? Ich freue mich auf deinen Kommentar!

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