Die Konfrontationstherapie gehört zu den Methoden der Verhaltenstherapie und gilt als zentraler Bestandteil bei der Behandlung von Angst- und Panikstörungen. Sie wird in psychologischen Fachkreisen auch Expositionstherapie genannt. Ziel ist es, dass der Angstpatient sich den angstauslösenden Situationen stellt und dabei ganz bewusst seine körperlichen Reaktionen wahrnimmt. Durch die Exposition – also sich der vermeintlichen Gefahr/dem angstauslösenden Moment aussetzen – lernen Menschen mit Phobien, dass sie selbst ihre größte Angst aushalten können, dass diese irgendwann wieder nachlässt und verlieren so die Angst vor der Angst.

So zumindest die Theorie. Ich persönlich habe in der Praxis durchaus gemischte Erfahrungen mit Expositionen gemacht. Anderen Menschen, mit denen ich darüber gesprochen habe, ging es ähnlich. Deshalb wollte ich von einem Experten wissen, ob die Expositionstherapie wirklich DAS Allheilmittel ist oder was bei der Konfrontation mit der Angst auch schieflaufen kann. Ich freue mich sehr darüber, dass Sandro Teuber, Psychologe, Psychotherapeut und Betreiber des Actblogs, mir Rede und Antwort gestanden hat.

Sandro, im Herbst/Winter 2012 habe ich die Welt nicht mehr verstanden. Ich hatte jeden Morgen in der Redaktionskonferenz eine Panikattacke, habe mich tagtäglich der Situation gestellt, mich mit meiner Angst konfrontiert und trotzdem hat sich über Monate nichts gebessert. Nach der Theorie hätte meine Expositionstherapie ja erfolgreich sein müssen. Oder nicht?

Sandro: Erst einmal Danke für die Einladung zu diesem Interview. Ich finde es toll, wie offen Du hier mit Deinen Ängsten umgehst. Das ist für mich und viele andere sehr inspirierend.

Bei der Exposition geht es nicht um die Situation oder den Ort, der die Angst hervorruft. Exponiert wird die Angst und nicht der Ort. Das heißt es geht darum, die Angst vor der Angst zu verlieren. Es geht darum, keine Gegenmaßnahmen gegen die Angst zu ergreifen. Erst dann ist man wirklich in der Exposition. Vorher ist es ein Aushalten, ein Durchhalten, ein Kämpfen. Darum geht es nicht in der Exposition. Das heißt auf deine Frage bezogen: Du kannst dich zigmal in die Redaktionssitzung setzen. Doch solange du gegen die Angst ankämpfst oder Dinge machst, die dir Sicherheit geben, ist es keine Exposition.

Okay, du hast mich ertappt. Bei mir war es in der Tat nichts anderes als ein Durchkämpfen. Und die Angst vor der Angst war stets präsent. Meine Strategie war immer: am besten nichts sagen, damit die Konferenz schneller vorbeigeht und hoffen, dass keiner was mitbekommt. Welche Strategien des im Endeffekt wirkungslosen Kampfes gegen die Angst gibt es noch?

Sandro: Das ist ein typisches Beispiel für den Umgang mit Angst. Und in vielen anderen Situationen funktioniert diese Strategie recht gut. Mit Gefühlen klappt das leider nicht. Unser Verstand ist aber kreativ und versucht trotzdem der Angst aus dem Weg zu gehen. Ganz typische Strategien in solchen Situationen sind: sich nahe an die Tür setzen, nichts sagen, ganz viel reden, Leuten nicht in die Augen schauen, etwas trinken, etwas essen, auf das Handy gucken, an schöne Sachen denken, sich sagen, dass alles gleich vorbei ist, auf die Uhr gucken, dran denken was man gleich macht, wenn das vorbei ist, mit den Beinen wackeln, eine verkrampfte Haltung einnehmen, bewusst anders atmen …

Du siehst, die Möglichkeiten sind fast unbegrenzt, an so einem Ort zu sein und Dinge zu tun, damit man die Angst nicht spürt. Das hält, wie du richtig feststellst, die Angst aufrecht. Aber das ist keine Exposition. Exposition fängt in dem Augenblick an, wenn du aufgibst. Ja, aufgeben. Das Handtuch schmeißen und zum Beispiel sich sagen: “Ach weißt du, Angst. Du kannst mich mal. Komm doch her und mach, was du machen willst. Ich warte, bis du fertig bist und währenddessen fange ich schon mal an zu leben und guck mich mal um, was hier eigentlich noch so los ist, während du da bist.”

Ist es letztlich dasselbe wie bei Menschen, die 10, 20 oder sogar 50 Mal im Jahr mit dem Flugzeug fliegen und trotzdem noch panische Flugangst haben, die teilweise sogar zunimmt?

Sandro: Genau. Denn Angst nimmt zu, wenn man gegen sie ankämpft. Das ist wie Seilziehen mit einem Monster am Abgrund. Du ziehst mit aller Macht am Seil und hoffst, dass das Monster den Abgrund hinunterfällt. Was passiert, ist das Gegenteil. Das Monster wird stärker und zieht mindestens genauso doll. Du trainierst quasi deine Angst, wenn Du mit ihr oder gegen sie kämpfst. Angst hat eine wichtige Eigenschaft: Wenn man mit ihr kämpft, breitet sie sich aus …

Den Punkt habe ich schon mal verstanden. Bei einer anderen Sache fehlt mir das Verständnis: Warum kommen manche Verhaltenstherapeuten auf die geniale Idee, einen Patienten auf eine Exposition zu schicken, ohne selbst dabei zu sein? Als Angstpatient bin ich doch die Vermeidung von Gefahren gewohnt. Also werde ich einen Teufel tun, mich der Angst zu stellen, wenn ich nicht dazu gezwungen bin. Mein langjähriger Therapeut hat mir immer super Vorschläge gemacht, welche Glasaufzüge und Seilbahnen ich fahren soll. Habe ich natürlich nie gemacht …

Sandro: Das wüsste ich auch gerne mal. Ich gehe mit all meinen Patienten mit. Ich steige auf Türme, Leitern, Stühle, stelle mich in den Supermarkt, fasse Spinnen an. Der Therapeut ist in dieser Behandlung Vorbild, Antreiber und Mutmacher. Ich muss aber auch sagen, dass das typenabhängig ist. Ich mache das gerne. Es gibt andere Therapeuten, denen diese Art der Behandlung nicht gefällt. Generell sollte der Therapeut als Unterstützung, um sich der Angst zu stellen, am Anfang mit von der Partie sein.

Diese positive Erfahrung habe ich in der Klinik auch gemacht, als mein Therapeut mit mir auf den Skywalk in Scheidegg mitgegangen ist. Ich war zwar vom Himmel noch ziemlich weit weg, aber es hat mir sehr viel im Umgang mit meiner Höhenangst gebracht. Was ist aber, wenn die Angst, der ich mich gerade erfolgreich stelle, gar nicht mein Hauptproblem ist? Dann lässt mich mein Therapeut zum Beispiel bei einer Agoraphobie zwar fleißig in der Vorweihnachtszeit durch überfüllte Kaufhäuser stapfen – und vielleicht gewöhne ich mich daran und die Angst nimmt ab. Aber das hinter der Angst liegende Grundproblem wird nicht angefasst und die Panik taucht irgendwann in anderen Situationen wieder auf, oder?

Sandro: Ja das ist ein typischer Fall. Angststörungen haben immer etwas mit einem überlasteten Stresssystem zu tun. Angst ist wichtig und hilfreich für uns (z.B. nicht ohne zu schauen über die Straße zu laufen, oder im Notfall zur Seite zu springen, wenn der Laster kommt). Seit Millionen von Jahren hat die Angst unser Überleben gesichert. Lieber einmal mehr Angst haben, als einmal gefressen werden, lautet hier die Devise. Dieses “Angstsystem” braucht aber auch die Erholung nach der Anspannung. Und jetzt kommt die moderne Gesellschaft mit ihren dauerhaften und ständigen Anforderungen, Überstunden, Leistungserwartung, schwierigen Kollegen, schrägem sozialen Gefüge (Facebook ist kein Ersatz für Beziehungen und Familie). Wer diese Schleife nicht unterbrechen kann und für Sinn und Erholung sorgt, bekommt früher oder später Probleme.

Aber zurück zu Deiner Frage: Klar, wenn ich “nur” die Angst oder Panik behandle, habe ich noch nicht an den Ursachen für das außer Kontrolle geratene Angstsystem gearbeitet. Die Angst wird sich auf andere Bereiche ausbreiten. Das Problem ist nicht die Angst oder die Panik. Das Problem ist der Umgang mit Angst und der Lebensstil, aus dem dieser Umgang entstanden ist.

Was soll das heißen? Ein Beispiel: Wenn ich Tag und Nacht gearbeitet habe für meine Karriere, meine Familie und dann ein Panikattacke bekomme, weil ich mir keine Pausen gegönnt habe, dann ist die Verringerung der Panikattacken nicht das Ziel, sondern die Veränderung des Lebens- und Arbeitsstils, damit die Ursachen der Attacken verschwinden.

Vergessen manche Therapeuten vor lauter Expositions-Eifer, dass hinter gewissen Ängsten handfeste Traumata stehen? Ich habe gelesen und gehört, dass in solchen Fällen die Exposition sogar kontraproduktiv sein kann. Muss hier zum Wohl der Patienten nicht näher hingeschaut werden, welche Emotionen hinter der Angst stecken und was der passende Behandlungsansatz wäre?

Sandro: Angst und Traumata – ein wichtiges Thema. Hier kenne ich andere Berichte aus der Wissenschaft. Exposition bei traumatisierten Menschen ist eine Behandlung mit sehr guten Ergebnissen. Aber wie gesagt: Das heißt nicht, dass Menschen darunter nicht auch zu Schaden kommen können. Schaden durch Psychotherapie ist ein ernstes Thema. Deshalb ist es wichtig, vor der Therapie auf Nebenwirkungen hinzuweisen. Die Patienten haben ein Recht zu erfahren, was alles schiefgehen kann. Ähnlich wie beim Beipackzettel in Medikamenten.

Das Vorgehen bei einer Angstexposition unterscheidet sich deutlich von einer Traumaexposition. In der Traumatisierung spielen meiner Erfahrung nach noch andere Emotionen eine Rolle. Meist stehen Scham, Ekel und Schuld im Vordergrund. Angst ist mit dabei, hat aber nicht die zentrale Rolle. Mir ist es auch schon passiert, dass mir im Laufe der Behandlung klar wurde, dass die Traumatisierung bei den beschriebenen Angstsymptomen eine viel größere Rolle einnimmt als gedacht. Das war ein Fehler. Und sie passieren, weil Therapeuten Menschen sind. Und Menschen machen Fehler.

Das Gute ist, dass man diese Fehler benennen und reparieren kann. Es ist ein heilvoller Prozess, wenn der Therapeut zugibt, etwas falsch gemacht zu haben und um Verzeihung bittet. Das ist zwar ein Dorn im Auge der Kompetenz, aber ein großes Zeichen von Menschlichkeit.

Meine These ist: Vor einer erfolgreichen Exposition müssen erst einmal innere Blockaden gelöst werden. Sonst verpufft das Ganze wirkungslos. In meinem Fall war die Bereitschaft für Expos erst da, als ich wieder deutlich an Selbstbewusstsein und Selbstliebe zugelegt hatte und anfing, selbst auf die kleinsten Erfolge stolz zu sein. Danach habe ich sogar ohne Anwesenheit von Therapeuten Expos freiwillig gemacht, vor denen ich sonst immer davongelaufen wäre.

Sandro: Auf jeden Fall müssen eine Menge Blockaden gelöst werden. Das Lustige ist ja: Alle Patienten ahnen, worum es in der Therapie gehen wird. Nämlich sich den Ängsten zu nähern. Der Punkt ist ja folgender: Die Menschen erleben, dass Weglaufen irgendwie nicht so erfolgreich war. Das heißt, wenn wir etwas anders machen wollen, dann wird es darum gehen, mit dem Weglaufen aufzuhören. Mit dieser Ahnung kommen die meisten Menschen in die Therapie. Zumindest ist noch keiner aus allen Wolken gefallen, wenn ich die Katze aus dem Sack gelassen habe. Wichtiger war vielmehr die Frage: Wie mache ich das?

Selbstliebe und Selbstvertrauen sind total wichtig, um sich zu trauen. Ich sage immer: 80 Prozent der Exposition ist die Vorbereitung darauf. Ich lasse mir meist viel Zeit damit, um dann aber voll einzusteigen. Wichtig ist, dass der Mensch absolut bereit ist, genau das zu tun, wovor er eigentlich Angst hat.

Es gibt aber auch andere Wege. Mit manchen Menschen mache ich lieber erst kleinere Schritte. Das hat den Vorteil, dass sie Selbstvertrauen und Erfahrungen sammeln können. So, wie Du es beschreibst. Beide Wege sind möglich.

Gibt es für Angstpatienten überhaupt Therapierfolge und Lebenswege ohne Exposition?

Sandro: Letztlich sind es die zwei Arten, wie du eine angstbesetzte Situation angehen kannst: kämpfend oder hinnehmend (akzeptierend und abwartend). Kampf führt zu mehr Angst. Akzeptanz (Aufgeben) zu weniger. Und genau das macht die Exposition aus. Es ist kontraproduktiv, in eine Situation zu gehen und gegen die Gefühle anzukämpfen. Dann lässt man es lieber sein und findet einen anderen Weg für sein Leben, als ständig in diesem Kampf zu sein. Man muss keine Exposition machen, wenn es nicht notwendig ist.

Für mich (und das ist ist auch der Ansatz meiner Therapiearbeit) geht es darum, die Lebensqualität zu erhöhen. Exposition ist kein Selbstzweck, sondern dient dazu, mehr von dem zu tun, was einem wichtig ist: Beispiel: Wenn die Mutter auf einem Spielplatz eine Panikattacke hat und sie weiter mit ihrem Kind unterwegs sein möchte, dann ist es wichtig, anders mit der Angst umzugehen. Wenn sie aber sagt: Ich kann auch anders mein Leben mit meiner Tochter verbringen, dann ist das genauso gut.

Auf den Punkt gebracht: Sei in einer Situation bereit alles zu erleben oder lass es bleiben und mach was anderes … Und vielleicht findest Du auf diesem Weg einen neuen Zugang zur Angst.

Zum Abschluss die Frage: Welche Steigerung ihrer Lebensqualität bekommen Menschen, wenn sie lernen, die Angst auszuhalten?

Sandro: Gerade bei einer gelungenen Exposition steigt die Lebensqualität sprunghaft an. Es ist kein Aushalten mehr, sondern ein „in Empfang nehmen“ der Angst. Die Menschen sehen die Welt mit anderen Augen und fragen sich, wovor sie eigentlich die ganze Zeit so viel Angst hatten.

Ein typisches Beispiel für eine erfolgreiche Exposition: Ein Patient, der Panik vorm Einkaufen im Supermarkt hatte, ist nach jahrelanger Vermeidung dank der Exposition angstfrei. In diesem Zustand erlebt er plötzlich, was in einem Supermarkt alles Interessantes passiert. Die befürchteten Ereignisse (Herzinfarkt, Umfallen, Sterben) treten nicht ein. Die Welt wird freier und offener. Sie können wieder erleben, was für einen Spaß es machen kann, einkaufen zu gehen, statt immer nur schnellstens durch die Gänge zu wuseln. Oder jemand, der vor Schlangen Angst hat, entdeckt, was für faszinierende Tiere das sind. Diese Erfahrung der Expansion, der neu gewonnenen Qualitäten des Lebens, ist es, worum es geht.

Sandro TeuberÜber den Interviewpartner: Sandro ist Psychologe, Psychotherapeut und Blogger. Er hilft Menschen, Hürden zu überwinden und ein reichhaltiges Leben zu führen. Nach mehreren schweren Schicksalschlägen entschied er sich, einen Blog und eine Plattform für ein offenes und vitales Leben zu gründen. Hier erfährst du mehr.

Hast du selbst Erfahrungen mit dem Thema gemacht? Wenn ja, welche? Wie ging es dir bei der Konfrontation mit deiner Angst? Ich freue mich auf deinen Kommentar!

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