Hilfe, ich bin ein Alien! Gefühlt bin ich der Einzige, der jemals so eine weite Fahrt in den Norden Europas gemacht hat und nicht ans Nordkap hoch ist.
“Ans NORDKAP!!! – Da MUSST Du hin!” hatte mir ein Freund vor meiner Abfahrt ans Herz gelegt. Genau in der Betonung. Als ich ihm entgegnet habe, dass ich das nicht vorhabe, war er entsetzt und hat 20 Minuten lang versucht, mich zu überzeugen.
Dann hat er festgestellt, dass ich sturer Bock mich taub stelle und seiner Empfehlung nicht folgen werde. Das hat einen einfachen Grund: Ich muss nämlich gar nichts. Außer irgendwann einmal das Zeitliche segnen. Das bleibt uns allen nicht erspart.
40 Euro für den Blick in den Nebel
Sollte ich jetzt den Einzelfall Nordkap begründen, würde die Antwort lauten: “Warum soll ich 1700 Kilometer Umweg fahren (Diesel in Norwegen kostet ja nur 1,80 €), um dann am nördlichsten Ende Europas zu stehen, gemeinsam mit Dutzenden Reisebussen samt Inhalt, rund 40 € zahlen, dass ich mal kurz in den Nebel blicken darf (von über 50 Leuten, die ich getroffen habe, gab es EINEN Schweden, der dort mal Sonne gesehen hat) und dann wieder abrauschen?”
Ich war auch noch niemals in New York, Aserbaidschan und Chemnitz, und trotzdem bin ich mit meinem Leben sehr zufrieden.
Ich will niemandem zu nahe treten, der das Nordkap als das große Ziel und Abenteuer ansieht. Ich will da aber (zumindest diesmal) nicht hin. Ende. Weil ich eben nicht muss.
Können wir uns in andere hineinversetzen?
Im Grunde genommen geht es doch um das Thema, dass wir ständig glauben, etwas zu müssen. Zum einen das von Freunden, Bekannten oder Kollegen gut gemeinte: “Das musst du mal sehen, hören, essen, erleben, …”
Nein, muss ich nicht. Warum sollte mir etwas gefallen, nur weil es jemandem anderen gefällt? Bevor ich anfange, jemandem einen “musst du”-Ratschlag zu erteilen, muss ich mir schon ganz sicher sein, dass ich seine Vorlieben kenne und mich in ihn hineinversetzen kann. Ich erlebe aber, dass es in den seltensten Fällen so ist.
Beispiel: Ich erzähle, dass ich in die Stadt XY fahre. Dann bekomme ich den Ratschlag, dass ich in Restaurant Z essen MUSS (weil dort die Portionen so riesengroß sind und dazu noch so schön billig). Jetzt bin ich aber überzeugter Slow-Food-Anhänger (auf Reisen ganz schön schwer bis teils unmöglich einzuhalten), der viel Wert darauf legt, dass jemand vernünftig kocht und regionale Produkte verwendet. Dafür lege ich gerne etwas mehr Geld auf den Tisch.
Ergo: Aus dem MUSS wird in dem Fall eher ein “Will ich bestimmt nicht”. Beispiele dieser Art kennst du bestimmt auch zur Genüge.
Warum wir glauben, zu MÜSSEN
Die andere Variante des Müssens ist das selbst auferlegte “Ich MUSS”:
- jeden Tag in die Arbeit, die mich langweilt
- noch einen Salat für die Grillparty machen, obwohl ich keine Zeit habe
- für den Vorstandsposten im Verein kandidieren, sonst macht das ja keiner
- zur öden Familienversammlung, obwohl ich in der Zeit tausend andere interessante Dinge machen könnte
- immer um 22 Uhr ins Bett und breche deshalb bei einem spontanen längeren Verhocken vor allen anderen auf, auch wenn es mir eigentlich noch gefallen würde
- immer samstags das Haus/die Wohnung putzen – ganz egal, ob draußen das herrlichste Ausflugswetter ist oder nicht.
Das Interessante dabei: Keine dieser Sachen MUSST du wirklich. Im besten Fall willst du sie, dann erledigt sich aber auch das Jammern darüber.
Und im schlechtesten Fall willst du die Sachen überhaupt nicht, von denen du glaubst, dass du sie musst – tust sie aber aus Angst vor Zurückweisungen, Verstoß gegen die geltenden Konventionen, aus moralischen, kirchlichen oder was-weiß-ich welchen Hintergründen oder aus Furcht vor Veränderung.
Das ist per se nicht schlimm. Aber den Durchbruch in Richtung Freiheit und selbstbestimmtes Leben wirst du damit nicht schaffen.
Du tust es für dich
Natürlich beschwört eine solche Haltung auch Konflikte herauf. Aus eigener Erfahrung kann ich aber sagen, dass es allemal besser ist, diese auszuhalten, weil du gestärkt daraus hervor gehst.
Schließlich hast du gerade entschieden, was gut für dich ist. Im anderen Fall entscheiden das andere für dich.
Was fühlt sich mehr wie das richtige Leben an? Ich habe für mich die Antwort darauf gefunden: Ich MUSS nichts. Und schon gar nicht zum Nordkap.
Ich weiß, dass jetzt viele denken oder sagen: Aber ich MUSS doch wirklich … Kann ich verstehen. Stimmt aber nicht. Was sind deine Erfahrungen mit dem MÜSSEN? Ich freue mich über deinen Kommentar.
Guten Morgen Mischa,
wieder super Artikel … gefällt mir und ich bin in ähnlicher Richtung unterwegs … 🙂
Aber das du nicht am Nordkap warst … tse tse tse … 😉
Liebe Grüße
Natascha
Hi Natascha,
dankeschön! Und das habe ich mir bei dir Abenteurerin schon gedacht 🙂
Und das mit dem Nordkap mach ich mal ganz heimlich. Und dann gescheit: Mit Wanderung zur wirklichsten nördlichen Stelle Europas. Da sind ja dann 98 % doch zu faul, dorthin zu gehen – oder der Bus muss weiter …
Liebe Grüße
Mischa
Gute Entscheidung! Richtige Entscheidung! Sonst hätte ich dir ja gar nichts mehr voraus! Das Nordkap ist das tollste und beeindruckendste Fleckchen Erde das ich je gesehen habe – es rangiert in meiner ewigen Bestenliste sogar noch vor New York und Chemnitz. Und ja, ich hätte Sonne.
He wim,
du hattest Sonne? Ich will Beweisbilder!
Und ich würde vorschlagen, da fahren wir das nächste Mal mit dem Land Cruiser gemeinsam hoch.
Beste Grüße nach Chemnitz, äh Kempten
Hallo Mischa,
ich hab grad deine Seite entdeckt und dein Artikel hier gelesen. Ich fand’s cool wie du es geschrieben hast und ich find es auch cool, dass du NICHT dort warst und “dir treu” warst.
Mich hat dein Text gleich an ein Lied erinnert das ich voll mag “Ich muss gar nichts” (https://youtu.be/rq0Rv84dqr8)…. wobei ich nicht ganz mit dem Text übereinstimme bei den Sachen wo sie singt “außer….”… aber die Teile wo man alles nicht muss macht einfach nur Spaß zu hören/ mit zu singen.
Viele Grüße,
Bettina
Hi Mischa,
sehr schöner Blog, offene und wirklich bewegende Artikel (habe noch nicht alles gelesen). Dass du so offen schreibst beeindruckt mich und zeugt von der Stärke, die du jetzt gewonnen hast. Ich wünsche dir, dass es so bleibt, auch wenn die Achterbahn des Lebens mal wieder runter fährt.
Aber dass man nicht zum Nordkap will, das kann ich nun überhaupt nicht verstehen. 😉
Viele Grüße und viel Spaß noch!
Matthias
Hi Matthias,
das freut mich sehr, dass dir meine Artikel gefallen. Vielen Dank für das größtmögliche Kompliment und natürlich viel Freude beim Lesen hoffentlich aller Artikel 😉
Mit der Achterbahn hast du sicher recht. Das habe ich ja selbst auf der Reise immer wieder erfahren. Ich kann jetzt aber die Geschehnisse und meine Gefühle besser einordnen als früher und bin deshalb zuversichtlich, dass die Bahn nicht mehr annähernd so tief runterfahren wird wie früher.
Und ans Nordkap fahre ich sicher noch. Dr. D will ja auch in den nächsten Jahren bewegt werden 🙂
Liebe Grüße
Mischa
Hi Mischa,
bin auf Umwegen hier gelandet und finde Deinen Blog echt gut v.a. auch das Layout/Design (suche gerade Inspiration für den eigenen).
Bei diesem Post mußte ich sofort an meine Erfahrungen mit Los Angeles denken, mittlerweile ein Running Gag. Vor meiner Tour durch die USA sagte ‘jeder’: “Spar Dir LA. Einfach nur groß und furchtbar.” Ach was, das muß man doch gesehen haben!
Falsch! IMHO einfach nur ein Moloch – nur jede 10. Straße überhaupt auf dem Plan verzeichnet – und an allen auch nur halbgar touristisch interessanten Spots wurde man laufend angequatscht, um sein Geld dort zu lassen. Im Gegensatz zu anderen Metropolen, insbesondere San Francisco, schlicht langweilig.
Ergo war mein Tip an andere, die später durch die USA getourt sind: “Spart Euch LA.” Ach was, das muß man doch gesehen haben…usw. und so fort 😉 You get the idea?
Aber ich widerspreche Dir dezent in einigen Deiner Vergleiche mit anderen “Ich muß”-Varianten. Ob Du nun am Nordkap warst oder nicht, hat lediglich nur mit Dir zu tun und keinerlei Konsequenzen für andere (außer, dass sie evtl. Geprächsstoff haben). Du warst da oder eben nicht.
Das Nichtauftauchen auf Familienfesten kann andere schwer enttäuschen, die Dich einfach gerne um sich haben, das Durchziehen eines langweiligen Jobs kann die Familie ernähren.
Damit sage ich nicht, dass z. B. der “langweilige Job” zum Selbstzweck werden und man nichts ändern sollte, wenn es mehr Lebensqualität nimmt als gibt.
Aber “müssen” hat eine andere Qualität, sobald es andere Menschen betrifft. Ob du an Gott glaubst oder nicht, hat für die erwähnte Künstlerin ungefähr soviel Konsequenz, wie für mich die theoretische Tatsache, dass Du möglicherweise Kohlrabi liebst, den ich verabscheue. Dann isst Du ihn halt…
Menschen, die “pünktlich ins Bett” müssen oder meinen zu müssen, sind nur gefangen im Ritual und glauben meist, dass Routine in allen Fällen was Gutes ist. Damit “schaden” sie letztlich auch nur sich selbst und weniger anderen.
Sofern “müssen” nicht zur Qual wird – dann ändert man im Normalfall eh irgendwann etwas daran – oder man die Option “Ich muß gar nichts” zieht, gibt es auch noch eine weitere Möglichkeit. Das was man gemeinhin bezeichnet als “das Beste daraus machen”.
Um im Beispiel zu bleiben: mich haben so manche Familienfeste lange überaus genervt und mir war so manche Ausrede recht, bis ich begriffen habe, dass es auch etwas Positives sein kann. Letztlich bin ich froh, dass ich auf jedem Geburtstag meines Großvaters auftauchen “mußte” – er wurde 99 – und mich dort auch mit den entsprechend “alten” Gästen ausgetauscht habe. Das ist eine völlig neue Perspektive im Vergleich zu den Gesprächen, die man mit Freunden, also “Gleichgesinnten” oder zumindest mehr oder weniger Gleichaltrigen, führt. So etwas reisst einen auch manchmal aus seiner Routine und aus seinen Denkmustern…
So, genug der Philosophie.
Viel Spaß noch auf Deiner Reise
Katja
Hey Mischa,
ich melde mich nochmals. Habe heute Abend etwas länger in Deinem Blog gestöbert. Eigentlich “müßte” ich einige anderen Dinge erledigen. In einigen Beiträgen finde ich mich wieder. Ich denke, dass mich einige Berichte, Kommentare, bestärken meine Entscheidung jetzt zu treffen. Hoffentlich ziehe ich es auch durch und bin nicht zu Feige und mache eine Kehrtwendung.
Die Aussage von Philipp Lahm über seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft finde ich sehr zutreffend: „Mein Leben gehört mir.“ Der Champions-League-Triumph im Folgejahr bestärkte ihn darin, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, „das heißt: Entscheidungen treffen, bevor sie mich einholen“.
Diese Entscheidung nehme ich mir ganz fest vor selber zu treffen. Und zwar jetzt. Dann werde ich auch von einer großen Last befreit. Dann werde ich im kommenden Jahr viele Touren mit meinem MTB unternehmen…Trails-Trails-Trails….
Mischa, bis bald – dann trinken wir in Ruhe ein Bier im Vereinsheim…
Franz
Hi Franz,
wow, das sind ja Nachrichten! Ich bin ja komplett begeistert, dass du jetzt richtig Gas geben willst in eigenen Dingen. Und natürlich, dass dich meine Artikel dabei bestärken.
Ich freue mich unheimlich über deinen Mut und noch mehr auf unser Gespräch in Bälde. Dann kannst du mir mal alles in Ruhe erzählen.
LIebe Grüße
Mischa
… Geschenke zu Geburtstag mitbringen, auch wenn mir nichts einfällt
… regelmäßig bei meiner Mutter anrufen, auch wenn wir uns nichts zu sagen haben
… immer frisch gewaschene und heile Klamotten tragen und sowieso jeden Tag was anderes anziehen, obwohl meine Kleiderkiste doch so klein ist und ich meine Lieblingssache am liebsten jeden Tag trage
… auf Parkplätzen parken, obwohl es so viele schöne andere Plätze gibt
… jeden Tag nett zu den Kollegen sein, auch wenn sie mich tierisch nerven
… meinen Einkaufswagen wieder zurückbringen, auch wenn ich den Euro so rauskriege
Ich kenne das gut, mit dem Müssen. In diesen Zwängen habe ich auch mal festgesteckt. Ich musste immer nett zu anderen sein und allen alles recht machen. Ich musste freundlich und brav sein und meinen Ärger runterschlucken. Ich habe lange gebraucht, um das hinter mir zu lassen und noch heute fällt es mir manchmal schwer.
Aber ich habe gelernt, dass ich immer die Wahl habe, wie ich mich verhalten will, was ich mache und was nicht und das ich gar nichts muss! Seit dem geht es mir viel besser.
Schön zu lesen, dass es dir auch so geht 🙂
Hi Steffi,
super Beispiele! Und es lässt sich gar nicht verhindern, dass es einem besser geht, wenn man das macht, was man will.
Schön, dass du für dich einen guten Weg gefunden hast.
Liebe Grüße
Mischa
Hi Mischa,
genauso ist es und deshalb steht es hinten auf unserer Wohnung.
http://14qm.de/widerstand-ist-zwecklos
Gruß
Andreas
Hi Andreas,
gefällt mir! Genauso wie Eure Hausnummer und Türklingel 🙂
Viele Grüße und weiter viel Freude in euren 14 Quadratmetern.
Mischa
Auch wenn dieser Beitrag schon älter ist, dazu MUSS ich einfach was schreiben 😉 Ich selbst habe mir in den letzten 18 Monate so ziemlich alles abgewöhnt, was man nach der Meinung der anderen muss, man selbst aber gar nicht für nötig hält – Fenster putzen, ordentlich sein, früh bei der Arbeit sein (diese Liste könnte ich endlos weiterführen). Die einzigen, die damit wirklich ein Problem haben, sind meine Eltern, deren Leben aus “Man muss fleissig, diszipliniert, ordentlich, rechtschaffen etc. sein, man muss sich zusammenreißen…” und “man kann doch nicht…” (hier kann man alles einsetzen, was sich irgendwie außerhalb der Norm befindet, vor allem was Kindererziehung, Arbeitsmoral und Partnerschaft angeht).
Wir haben regelmäßig Gespräche in dieser Art: “Aber Du kannst doch nicht…” “doch, kann ich, und es klappt prima für uns” “aber sowas macht man nicht” “doch, ich schon” “aber was sollen denn die Leute denken?”…
Ich mag mich nicht durch solche Vorgaben selbst limitieren – weder durch müssen, was ich gar nicht will, noch durch bleibenlassen, weil jemand gesagt hat, daß das so nicht geht.
Hi Alexandra,
ja, diese Diskussionen kann ich mir lebhaft vorstellen 🙂 Erinnert mich an so manchen Kommentar, bevor ich damals auf meine Europatour bin. “Du kannst doch nicht einfach allein ohne deine Frau losfahren!” Ich: “Doch, kann ich.”
Gefällt mir sehr gut, dass du diesen Weg so konsequent gehst. So sieht nämlich selbstbestimmtes Leben aus.
Liebe Grüße
Mischa
Hi Mischa!
was soll ich sagen – absolut genialer Beitrag! Genauso siehts halt mal aus!
Das ganze Thema zieht aber noch viel mehr nach sich: Die Tatsache, dass man selbst verantwortlich ist für alles Handeln und auch fürs eigene Glück.
Ich muss gar nix 🙂
So isses. Und das ist auch gut so 🙂
Alles Liebe
Mischa