Ein Gastartikel von Nima Ashoff
ICH.BIN.UNSPORTLICH
Dieser Gedanke hat sich seit der fünften Klasse in mein Gehirn eingebrannt. Unveränderbar und unumstößlich. In Frage gestellt habe ich ihn nicht. Wir stellen ja auch nicht in Frage, ob die Erde eine Scheibe ist. Geboren wurde dieser Gedanke im Schulsport, bei dem ich immer die letzte war, die in eine Mannschaft gewählt wurde. Naja, nicht gewählt, sondern eher irgendwo zugeteilt …
Heute bin ich 40 Jahre alt, habe an zwei Halbmarathons teilgenommen und gehe leidenschaftliche gerne Klettern, Bouldern und Mountainbiken. Außerdem habe ich noch zig Sportarten ausprobiert wie zum Beispiel Stehpaddeln, Kajakfahren oder Skifahren.
Habe ich schon erwähnt, dass ich unter Höhenangst leide?
In Kombination mit meiner angeblichen Unsportlichkeit eigentlich ein No Go für meine Lieblingssportarten. Wie kommt es also, dass ich 30-m-Routen klettere oder querfeldein Hänge mit dem Bike runter radele? Bei all diesen Sachen ist die Angst mein Begleiter – mal stärker, mal schwächer. Ich habe gelernt zu akzeptieren, dass sie da ist und einen Weg gefunden, mit ihr umzugehen. Wie dir das auch gelingen kann, erfährst du jetzt.
„Ich bin unsportlich“
Dieser unscheinbare Satz ist eine negative und einschränkende Denkweise. Einschränkend deshalb, da er aussagt: Du brauchst es gar nicht versuchen, du kannst das eh nicht.
Das Schöne an Gedanken ist aber, dass es lediglich Gedanken sind. Sie sind nicht real – sie sind bloß Konstrukte! Gedanken kommen, sie gehen und du das Beste ist: Du kannst einschränkende Gedanken durch förderliche ersetzen. Dazu unten mehr…
„Ich habe Höhenangst“
Hier haben wir es nicht mit einem reinen Gedanken zu tun, sondern mit real stattfindenden physiologischen Vorgängen. Wenn ich zum Beispiel einen schmalen Grat gehen soll, wird es mir schwindelig und ich kann keinen Schritt mehr vor den nächsten setzen.
Dennoch ist Angst ein Zustand, an du etwas ändern kannst, wenn du es möchtest.
Und genau darin liegt der Schlüssel zum Erfolg: Du selber musst die Veränderung wollen! Wenn du dich arrangiert hast, mit Ängsten zu leben und daran nichts ändern möchtest, ist das eine Entscheidung. Ich sehe Handlungsbedarf, wenn man beginnt, sein Umfeld an seine Ängste anzupassen:
– Angst vor Hunden?
Dann schreie ich jedem Hundehalter zu, wie er sich gefälligst zu verhalten hat!
– Angst vor Spinnen?
Dann halte ich mich von jeglichen Möglichkeiten fern, mit diesen Viechern konfrontiert zu werden. Vielleicht schränke ich mein Leben sogar ein, weil ich deshalb nicht in Ländern fahre, in denen es viele (oder größere) Insekten gibt.
Sich einschränkenden Gedanken und Ängsten zu stellen, macht frei!
Negative Gedanken sind meist Sätze, die uns andere eingeflößt haben – zum Beispiel Lehrer oder Eltern. Erfahrungen, die wir generalisiert haben. Kleine Teufelchen, die auf unserer Schulter sitzen und uns in die Entwicklungs-Karre fahren. Aber wir können sie ändern, wenn wir sie erkannt haben. Damit sind wir schon bei
Schritt 1:
Finde heraus, in welchem Lebensbereich du negativ über dich denkst und was du konkret ändern möchtest.
– Wodurch fühlst du dich eingeschränkt?
– Wo fehlt es dir angeblich an Talent?
– Welcher Angst würdest du dich gerne stellen?
– Worüber jammerst du oft? Höre genau hin, wenn du Dinge sagst wie „Ich würde ja soooo gerne, aber ich kann das nicht.“
Ich habe für mich das Motto etabliert „Nicht können heißt nicht wollen“. Es ist in Ordnung, Ängste zu haben oder Sachen nicht zu können. Wenn ich mich aber darüber beklage, habe ich jederzeit die Chance, etwas zu ändern und mir ein Ziel zu setzen.
Schritt 2: Du benötigst eine attraktive Motivation!
Ohne Motivation geht gar nichts! Du wirst an einen Punkt kommen, an dem du frustriert bist, nicht vorwärts kommst oder einfach keinen Bock hast. Kenne ich nur zu gut! Genau da schreit dann der Teufel mit voller Lautstärke „Habe ich dir doch gesagt, du kannst das einfach nicht“.
Blödsinn – was du jetzt brauchst, ist Motivation.
– Wieso möchtest du das erreichen, was du dir vorgenommen hast?
– Welches Gefühl ist für dich mit dem Ziel verbunden?
– Wozu verhilft dir das, was du erreichen möchtest?
Kannst du vielleicht wieder alleine Spazierengehen, weil du keinen Beschützer mehr vor „bösen Hunden“ benötigst?
Bei mir war es der Wunsch, ein besseres Gefühl für meinen Körper zu bekommen und damit auch mehr Selbstbewusstsein. Viele meiner Freunde haben sich außerdem sportlich betätigt, und ich war ständig der Außenseiter. Das wollte ich ändern und mehr teilhaben können an gemeinschaftlichen Aktionen. Außerdem bin ich gerne in den Bergen und wollte das entspannter genießen können.
Schritt 3: Etabliere Gegenstimmen
Dein Teufelchen flüstert dir wieder ins Ohr, dass du etwas nicht kannst? Dann dreh ihm die Stimme leiser oder sag „Stop“.
Du kannst den bisherigen Satz „Ich bin unsportlich“ ersetzen durch „Bisher habe ich wenig gute Erfahrungen mit Sport gemacht, aber jetzt möchte ich das ändern.“ Oder: „Jeder ist auf seine Weise sportlich. Ich kann das auch.“
Bei meiner Höhenangst sage ich mir „Sie hat mich schon oft vor Gefahren bewahrt, meint es aber manchmal zu gut. Ich passe sehr gut auf mich selber auf.“
Schritt 4: Setze dir dein eigenes Ziel!
Wir neigen dazu, uns mit anderen (in der Regel Besseren) zu vergleichen. Das kann motivierend wirken, wenn du dir ein Vorbild suchst, an dem du dich orientieren möchtest.
Der Schuss kann aber auch gewaltig nach hinten losgehen, wenn die Leistungen des anderen für dich schlichtweg viel zu hoch sind.
Setze dir also realistische Ziele und einen Zeitpunkt, bis zu dem du sie erreicht haben möchtest. Nur so kannst du feststellen, ob du auf dem richtigen Weg bist oder deine Ansprüche an dich zu hoch sind.
Ich möchte mit meiner Höhenangst kooperieren, anstatt mich von ihr dominieren zu lassen. Mein konkretes Ziel ist es, abschüssige Wege ohne Hilfe eines anderen gehen zu können.
Schritt 5: In Mini-Schritten voraus
Auf unser Gehirn wirken große Veränderungen wie eine Gefahr – und es macht dicht. Das Ergebnis ist, dass du zwar motiviert beginnst, aber nach kurzer Zeit einbrichst und sogar ganz aufgibst.
Ich empfehle dir das Buch „Kleine Schritte, die dein Leben verändern: KAIZEN für die persönliche Entwicklung“.
Hier erfährst du, dass langsame, stetige Schritte erfolgreicher sind als große Sprünge. Stelle dich deiner Angst in einem Tempo, das für dich gut ist. Es darf herausfordernd sein, dich aber nicht überfordern. Übe neue Verhaltensweisen erst unter möglichst stressfreien Umständen und wiederhole sie so oft es geht, damit sie sich festigen. Steigere dann erst den Schwierigkeitsgrad.
Bevor ich den ersten Klettersteig gegangen bin, habe ich zahlreiche leichte Kletterrouten gemacht, bei denen ich mich an Bewegung in der Höhe gewöhnen konnte.
Schritt 6: Sei nett zu dir selbst
Klingt schnulzig, ist aber ein ganz wichtiger Punkt. Sagst du zu einem guten Freund „Das kannst du doch eh nicht, dazu bist du zu blöd?“
Gute Freunde unterstützen dich und spornen dich an, Neues zu versuchen. Wieso solltest dann du selber – die wichtigste Person in deinem Leben – negativ mit dir umgehen und dich runterziehen? Sprich dir selber Mut zu! Lobe und belohne dich für die kleinsten Erfolgserlebnisse!
Halte dir deine bisherigen Erfolge vor Augen. Nimm deine Erfolge vor allem wahr und werte diese nicht ab. Der erste Erfolg ist, dass du die Entscheidung getroffen hast, etwas zu ändern – damit bist du vielen bereits einen Schritt voraus.
Schritt 7: Entspanne dich
Je weniger Druck und Stress du dir machst, umso besser lernst du, und umso eher erzielst du Erfolge. Das Tolle an Entspannung ist außerdem, dass sie nicht mit Angst kompatibel ist. Je besser du dich also entspannen kannst, umso besser kannst du mit Angst umgehen.
Mein persönlicher Tipp: Ich habe entspannte Momente mit einem Duft verknüpft („Gute Laune Spray”). Wenn ich diesen Geruch rieche, geht es mir sofort besser. Daher nutze ich den Duft in allen Momenten, in denen ich auf ihn zurückgreifen kann (z.B. in Form eines Tuches, das danach riecht). Düfte wirken übrigens direkt im Gefühlszentrum unseres Gehirns, was beim Abbauen von Angst sehr hilfreich ist.
Meditation ist ein ideales Mittel, um auf die Stimmen in deinem Kopf aufmerksam zu werden. Im alltäglichen Lärm nehmen wir diese gar nicht mehr war und lassen uns unbewusst durch sie leiten. Durch Meditation kommst du zur Ruhe und bekommst Zugang zu deinen Gedanken. Und das Erkennen dieser Gedanken ist der erste Schritt um sie verändern zu können.
Schritt 8: Do it your way!
Lerne dich und deine Bedürfnisse gut kennen. Was brauchst du, um Neues zu lernen? Kannst du es besser alleine, in der Gruppe oder mit einem Trainer/Coach? Hilft es dir, dich mit Gleichgesinnten zusammenzutun?
Wichtig ist der Blick nach vorne: Konzentriere dich auf das, was du erreichen möchtest, also auf Lösungen und Ziele. Die Vergangenheit lässt sich nicht ändern, die Zukunft schon!
Bleib am Ball und experimentiere, bis du deinen Weg gefunden hast. Und lies dir nochmal Mischas Artikel zu Sei peinlich (und genieße es)! durch. Wenn du Neues lernst, machst du Fehler – das ist normal. Diese sind erlaubt und keinesfalls peinlich.
Schritt 9: Lachen ist erlaubt
Du meinst, nur weil du an einer Angst arbeitest, ist Lachen verboten? Quatsch! Humor ist ein tolles Mittel, um Anspannung und Stress abzubauen. Über sich selber lachen oder schmunzeln zu können, nimmt eine Menge Druck raus.
Ich lebe mit belustigten Blicken und Kommentaren, wenn ich mal wieder auf allen Vieren einen Berg erklimme, den andere leichtfüßig hochtraben. Mein Freund fragt mich ab und zu „Na, machst du uns wieder den Vierfüßler?“
Dabei ist aber eines wichtig: Er respektiert mich und ist jederzeit für mich da, wenn ich ihn brauche! Leute, die sich über dich lustig machen, dich unter Druck setzen oder abwerten, solltest du meiden.
Manchmal, wenn ich wieder mit zittrigen Beinen an einem Abhang stehe, frage ich mich „Für wen mache ich das denn alles?“ Die Antwort war ganz einfach: Ich mache es für mich! Niemand zwingt mich, ich darf jederzeit wieder aufhören.
Aber will ich das überhaupt? Nein, denn ich weiß inzwischen, dass ich alles schaffen kann, wenn ich es wirklich möchte!
Und du kannst das auch – glaub an dich!
Zur Autorin: Nima ist Entspannungspädagogin und systemischer Coach und befasst sich gerne mit Allem, was mit Angstbewältigung zu tun hat. Dabei kommen ihr ihre eigenen Ängste beim Sport als Übungsobjekt gerade recht. Die Mission ihres Blogs Abenteuer unterwegs ist es, über das Leben und Arbeiten on the road im Wohnmobil zu berichten, Geschichten über Länder und Leute zu erzählen, Tipps für Outdoor-Aktivitäten zu geben und die Leser in verschiedenen Bereichen zum Nachdenken anzuregen.
Das ist ein Super Artikel.
Da kann ich dir nur zu 100 Prozent zustimmen, Gaby!
Toller Artikel!
Den Trick mit dem Geruch zum entspannen kannte ich noch nicht. Weiß zufällig jemand, wo’s Ofenfrischen Pizza-Duft zu kaufen gibt? 😀
Meditation kann ich selbst nur empfehlen. Kenne nichts, was einen so sehr entspannt und ins Gleichgewicht bringt, wenn man’s regelmäßig macht.
Liebe Grüße,
Daniel
Hi Daniel,
da werde ich mal bei Nima nachfragen, wo es diesen Duft gibt, wenn der dich so motiviert 🙂
Und bezüglich der Meditation kann ich dir nur beipflichten. Am Anfang ist es ein bisschen mühsam, aber irgendwann gehört es wie selbstverständlich dazu und hilft einem sehr weiter.
Liebe Grüße
Mischa
Hallo Nima, Hallo Mischa,
das ist ein phantastischer Artikel. Manchmal ist es ja auch so, dass man meint, etwas haben zu wollen und wenn man es dann hat, dann ist es gar nicht mehr so toll.
Alles Liebe.
Gaby
Hi Gaby,
danke dir für das schöne Lob! Ich weiß, was du meinst und finde die Herausforderung des Lebens darin, dass ich mir viel mehr bewusst werde, was ich wirklich will, damit die von dir beschriebene Situation immer seltener vorkommt. Also: Was sind meine Ziele und was sind die Ziele anderer, die ich erfülle?
Liebe Grüße
Mischa