Hui, vor diesem Text habe ich mich ganz schön lange gedrückt. Gibt ja so viel Wichtigeres zu tun, um das Überleben zu sichern: schlafen, kochen, essen, Wäsche waschen, bügeln, lesen, schlafen, kochen, essen, Wäsche waschen, bügeln, lesen, ….

Ich ringe mit mir. Seit Tagen. Nein, seit Wochen. Große Hemmungen, das zu schreiben, was mir schon seit geraumer Zeit auf dem Herzen liegt: Ich bin müde. Ich brauche Abstand. Ich muss mich zurückziehen, um nicht die wichtigste Phase in meinem Leben zu verpassen.

Ich nenne sie mal Phase 3.

Die erste Phase dauerte die ersten vier Jahrzehnte meines Lebens: Ängste, Depression, betäuben, weglaufen. Nach außen ein normal wirkendes, solides Leben. Im Inneren dagegen Mischas Horror Picture Show (ausführlicher beschrieben in meinem Buch “Mut ist Angst plus ein Schritt”).

Phase 2 von 2013 bis 2019: Das große Aufwachen nach dem Zusammenbruch. Die Entscheidung: Ich will wirklich leben. Ich übernehme Verantwortung für mich und meine Gesundheit. Ich kremple mutig mein Leben um und stelle mich den damit verbundenen Veränderungen und Herausforderungen. Ich trage meine Geschichte nach außen und heile damit mich und andere Menschen.

Und jetzt die Phase 3. Ende 2018 hat mir meine innere Stimme geflüstert “2019 wird krass.” Ich dachte natürlich sofort an Umsatzzahlen, mehr Coaching-Kunden, mein Buch auf dem Weg zum Bestseller. Mindestens. Schöne Hochglanzerfolge im Außen. Was soll mich noch aufhalten, nachdem mein erstes Jahr als hauptberuflicher Coach und Seminarleiter alle meine kühnsten Vorstellungen übertroffen hat?

Einfache Antwort: Das Leben. Abzulesen an meiner Energie, die gefühlt Monat für Monat weiter in den Keller gesunken ist. Abzulesen daran, dass trotz vieler Anfragen und Vorgespräche nur zwei Menschen dieses Jahr mit mir als Coach arbeiten wollten (weshalb ich das Angebot nach dem Motto “Folge den Zeichen” erst einmal von meiner Seite genommen habe).

Wenn dir dein Leben um die Ohren fliegt …

Und vor allem daran abzulesen, dass mir Ende August mein Leben so richtig schön um die Ohren geflogen ist. Da gab es ein ein altes Pulverfass, von dem ich wusste – das anzufassen ich mich aber noch nicht getraut hatte. Ich behaupte sogar, dass ich die damit verbundene Explosionskraft zu einem früheren Zeitpunkt gar nicht ausgehalten hätte. Die vergangenen Jahre des freudvollen Zurückfindens ins Leben und eine starke Orientierung an meinen Ressourcen hatten letztlich nur ein Ziel: mir so viel Kraft zu verleihen, so viele wundervolle Heiler kennenzulernen und mir so viele Werkzeuge zu verleihen, dass ich diese Nummer nun überstehen kann, ohne wie früher ins Bodenlose abzustürzen.

Um was es geht? Vielleicht schreibe ich in ein paar Monaten mal darüber. Vielleicht auch nicht. Das Ganze ist sehr privat. Ein Trauma, das mir in seiner Dimension erst jetzt bewusst wird. Ein heftiges inneres Beben, sehr real und surreal zugleich. Meine einzige Aufgabe: Alles fühlen, was damit an die Oberfläche kommt. Ohne mich wie früher zu besaufen oder mir Medikamente einzuwerfen, weil ich den Schmerz nicht aushalte.

Das Beben hatte auch äußere Auswirkungen. Einige Wochen war ich von meiner Frau getrennt. Das Heftigste, was ich zum Thema “Gefühle fühlen” je erlebt habe. Es gibt den schönen Satz: “Emotionale Arbeit ist wie Steinbrucharbeit.” Das kann ich ganz fett unterstreichen.

Mein Körper, mein ganzes System kann und will gerade nicht leisten. Ich bin schwach. Ich darf es sein.

Wegrennen hilft nicht – meine Erfahrungen beim Pilgern

Als ich Ende September für 10 Tage zum Pilgern auf dem Ökumenischen Pilgerweg in Ostdeutschland aufgebrochen bin, hatte ich gefühlt 1000 Fragezeichen im Gepäck. Wie geht’s mit meiner Ehe weiter? Wie geht’s mit meinem Business weiter? Was will ich wirklich, wirklich? Wofür stehe ich, nachdem ich meine Marke “Adios Angst” Anfang des Jahres aufgegeben habe? Was brauche ich jetzt? Was braucht mein Körper jetzt? Was braucht meine Seele jetzt? Wer kann mir helfen?

Weil ich ja gelesen hatte, dass man beim Pilgern so toll zu sich selbst finden kann, bin ich losgerannt wie ein Bekloppter. Je schneller, je mehr Kilometer am Tag,  je härter zu mir selbst, desto eher werden die Antworten kommen. Die einzige Antwort kam von meinem Körper: “Alter, du hast sie wohl nicht mehr alle! Wenn du so weitermachst, können wir bald im Rollstuhl pilgern.”

Da ist es mir schmerzhaft bewusst geworden: Wegrennen hilft nicht. Nicht im Leben, nicht beim Pilgern. Wenn es Zeit für Klärung im Leben ist, dann braucht es vor allem eins: Zeit. Beziehungsweise Ruhe und Langsamkeit.

Ich hatte mir eingebildet, mir in den vergangenen Jahren genug Pausen gegönnt zu haben. Genug Zeit für mich zum Innehalten. Doch das war leider ein ziemlich großer Selbstbeschiss. Mal eine Woche Mantra singen oder Yoga Retreat hier, mal 5 Tage Kloster dort – alles super, alle super hilfreich und tief gehend.

Wie kann ich in meine eigenen Fußstapfen hineinwachsen?

Doch um eins hatte ich mich immer gedrückt: Mich wirklich einmal längere Zeit ohne Ablenkung auf mich einzulassen. Wirklich richtig in die Ruhe zu kommen. Mir die Möglichkeit zu gönnen, in die Fußstapfen meines neues Weges überhaupt einmal hineinwachsen zu können. Meinen großartigen Erfolgen im Außen auch im Inneren nachzukommen. All das sacken zu lassen, was ich bewegt habe.

Obwohl das, was ich in Phase 2 für mich im Innen und Außen erreicht habe, bei manchen Menschen für mehrere Leben reichen würde, war da immer noch so eine seltsame Leere und Traurigkeit, die mich immer wieder eingeholt hat. Das einzugestehen, geht erst jetzt nach dem großen Knall. Mir der einzigen Sachen bewusst zu werden, die aktuell wirklich wichtig sind: Mich mal zu besinnen, wo ich denn hingehöre. Was meine innere Heimat ist.

Keine neuen Abenteuer mehr. Keine neuen Projekte. Nichts mehr im Außen, für das mich jemand feiern könnte. Mein zweites Verlagsbuch “Die Heilkraft der Stille”, das ich im Winter schreiben wollte, ist in Absprache mit meiner Cheflektorin verschoben. Die geplante Wüstenreise in Marokko habe ich abgesagt.

Jede Absage kam mir zuerst vor wie eine Niederlage. Erst danach habe ich gemerkt, dass es ein Zeichen meines Muts ist. Nichts mehr durchziehen um jeden Preis. Nur noch das tun, was jetzt dran ist und nach dem mein ganzes System schreit: NICHTS.

Sendepause bis Ende 2019 – mindestens

Nichts heißt: Mindestens bis Ende des Jahres keine Blogartikel, keine Newsletter, keine Posts auf Facebook und Instagram, keine Seminare, Workshops, Lesungen oder Coachings. Meine Assistentin kümmert sich um die Mails und wird sanft darauf hinweisen, dass ich frühestens Anfang 2020 antworten werde.

Ich habe in den letzten Wochen gemerkt, wie müde ich bin. Überhaupt keine Lust mehr, mich und meine Arbeit darzustellen. Diesem ganzen Facebook- und Instagram-Bla-Bla sowas von überdrüssig und trotzdem nicht fähig, mich als Nutzer davon zu lösen. Ziemlich heftig zu merken, wie ich mich immer wieder damit von meinen eigenen Themen ablenken konnte.

Ja, ich habe Angst davor, was jetzt passieren kann, wenn ich knapp zwei Monate (ein paar Tage werde ich noch die Reaktionen auf den Artikel beobachten, bevor ich den Aus-Knopf drücke) komplett auf mich zurückgeworfen werde. Null Social Media, nur an ganz wenigen Tagen online (Fernsehen und anderen Medienkonsum gibt’s bei mir eh nicht) und ohne irgendwas, mit dem ich mich im Außen präsentieren könnte.

Mein Ego dreht mal wieder durch: Was wird aus meinem Business? Kennen mich die Leute nach meinem Rückzug überhaupt noch? Wie soll das gehen zwei Monate ohne Einnahmen?

Wenn ich Antworten darauf hätte, bräuchte ich jetzt keine Auszeit. Und ehrlich gesagt ist es mir verhältnismäßig egal. Fast hätte ich scheißegal geschrieben, doch das stimmt nicht.

Letztlich ist es wie 2013, nur auf einem ganz anderen Level: Ich tue etwas sehr Unvernünftiges, denke nur an mich und meine Gesundheit und vertraue einfach darauf, dass ich für meinen Mut belohnt werde.

Phase 3 geht ans Eingemachte. Zur Essenz und zum tiefsten Schmerz zugleich. Hier gibt’s nichts mehr zu glänzen. Nur noch zu fühlen. Um dann in einer ganz anderen Kraft zurückzukommen. Wann auch immer.

Ich bin dann mal weg.

P.S.: Wenn du jetzt denkst: Der hat’s gut, dass der sich so eine lange Auszeit leisten kann, darf ich dir sagen: Ich kann es mir nicht leisten. Und ich tu es trotzdem.

Weil ich weiß, dass das Leben immer dann die größten Geschenke auffährt, wenn ich die Kontrolle loslasse und aufgebe.

Foto: Jens Tschorn