Der Körper – mein Feind. Diesen Titel hätte man weiten Teilen meines (Erwachsenen-)Lebens geben können. Umso mehr freut es mich, dass sich Moni von “My free Mind” mit einer Artikelsammlung dem Thema widmet: Wie finde ich Vertrauen in mich und meinen Körper? Hier kommt mein Beitrag, wie immer ohne Selbstschonung.

Rückblende 1: Ein Studentenwohnheim in Würzburg Anfang der 1990er Jahre. Nachts um 3 Uhr wache ich auf. Irgendetwas stimmt nicht. Riesige innere Unruhe. Irgendetwas will mir die Luft abschnüren. Alles fühlt sich unwirklich an. Und mein Herz – ist da nicht schon wieder das heftige Ziehen? Der Puls schnellt nach oben und hämmert wie eine Schlagbohrmaschine. Ich glaube, ich muss sterben. Ich rufe mir ein Taxi und lass mich in die Notaufnahme des Klinikums fahren. Diagnose: Nichts festzustellen, außer einem leicht erhöhten Blutdruck.

Rückblende 2: Eine Zugfahrt allein von Würzburg nach Landshut. Ich will mich dort mit Kumpels zum Eishockey treffen. Sicherheitshalber mal den Puls tasten. Oh weh, der ist schon wieder recht schnell. Die nächste Attacke rollt heran. Ich beginne zu hyperventilieren. Das Kribbeln in Armen und Beinen macht mich noch nervöser. Der Puls rast. Bestimmt falle ich gleich in Ohnmacht. Ich glaube, ich muss sterben. Ich sage den anderen im Abteil, dass es mir schlecht geht, darf mich ins Schaffnerabteil legen und werde am nächsten Bahnhof direkt zum Arzt gebracht. Diagnose: Nichts festzustellen, außer einem leicht erhöhten Blutdruck.

Rückblende 3: Ein Nachmittag in meinem Elternhaus im Ostallgäu. Bin auf Wochenend-Besuch und schaue Skispringen. Schon wieder diese brutale Unruhe den ganzen Tag. Merke, wie mein Puls in die Höhe schießt und messe sofort meinen Blutdruck (das Gerät habe ich mir inzwischen sicherheitshalber zugelegt). Die Messung zeigt astronomische Höhen an. Ich glaube, ich muss sterben. Also gibt es nur eine Wahl: Sanka rufen und mit Tatü-Tata ab ins Kaufbeurer Krankenhaus. Im Krankenwagen dasselbe Spiel wie immer: Kaum ist ein Arzt in meiner Nähe, sind die Symptome nach einiger Zeit wie weggeblasen. Eine Woche lang werde ich im Krankenhaus komplett durchgecheckt. Ein paar Mal muss ich das Knöpfchen drücken, weil der Puls sich wieder im 200-er Bereich austobt, aber sonst ist nichts zu entdecken. Zum ersten Mal höre ich das Wort “psychosomatisch”.

Das heißt konkret? Mir fehlt nichts. Und wenn ich nicht glauben würde, dass ich sterben muss, dann ginge es mir gut. Oder so ähnlich, wenn ich die Ärzte richtig verstehe.

Was für ein Schlag ins Gesicht! Sollen sie doch lieber einen Herzfehler diagnostizieren als mir zu sagen, dass es nur an mir liegt. An meinem kranken Geist, der sich immer nur Schlimmes ausmalt und mir vorspielt, dass ich einen Herzanfall habe. Ich bin bekloppt.

Ende der Rückblenden.

Tja, und seit diesem Tag Mitte der 1990er Jahre versuche ich, das Vertrauen in meinen Körper zurückzugewinnen. Und das ist verdammt nochmal die schwierigste Aufgabe meines Lebens.

Ich behaupte mal, dass ich bis vor meinem Zusammenbruch im April 2013 nicht wirklich gut darin war. Man könnte auch sagen, dass ich ziemlich oft versagt habe. Ich erspare dir jetzt weitere Beispiele von Panikattacken, die mich in schöner Regelmäßigkeit – besonders gern beim Auto- oder Zugfahren, oft aber auch nachts im Bett – heimgesucht haben.

Wenn Theorie und Praxis nicht miteinander können

Fakt ist, dass ich im Lauf der Zeit zwar all das theoretische Wissen hatte. Bücher und Zeitschriften zu dem Thema habe ich verschlungen, zusätzlich war ich 10 Jahre lang in Therapie. In der Summe fehlte mir aber der Mut, das Rüstzeug auch anzuwenden und meinem Körper tatsächlich zu vertrauen.

Da war diese bohrende Frage im Hinterkopf: Was ist denn, wenn ich doch ein Problem mit meinem Herzen habe und die Ärzte das nur nicht entdeckt haben? Muss ich dann nicht super vorsichtig sein? Mich beim Sport nur nicht überanstrengen und immer auf die Pulsuhr schauen, damit nichts passiert? Ist es nicht wichtig, immer eine Siedlung in meiner Nähe zu haben, falls ich gleich umfalle, damit mich jemand findet? Und ständig den Handy-Empfang zu überprüfen, damit ich schnell Hilfe holen kann, wenn es mir schlecht geht?

Vielleicht lachst du jetzt, wenn du noch nie Panikattacken hattest. Ich tue das inzwischen auch. Aber in den Momenten selbst war es die Hölle, weil ich mich durch diese ständige Angst vor den Reaktionen meines Körpers unfassbar eingeschränkt habe. Ein Leben im Käfig mit dem Namen “Nur nicht zu viel riskieren”.

Die Wende zu mehr Vertrauen in meinen Körper

Wenn du diesen Blog schon eine Weile liest, weißt du, was jetzt kommt: das Hohelied auf meinen Klinikaufenthalt. Die verschiedenen Therapiemaßnahmen in den 5 Wochen dort haben den radikalen Umschwung im Vertrauen zu meinen Fähigkeiten und meinem Körper eingeläutet. Etwas, an das ich ehrlich gesagt schon nicht mehr geglaubt hatte.

Die wichtigsten Komponenten: Zugang zu meinem Inneren zu finden, Gefühle zuzulassen, viele Möglichkeiten der aktiven Entspannung kennenzulernen, ganz viel Zeit für mich und meine Reflexionen zu haben, mich angstauslösenden Situationen zu stellen, ein sehr gesunder Lebenswandel mit ausgewogener Ernährung/ohne Alkohol sowie zu sehen, dass Belastungen für meinen Körper gar nicht schlimm sind.

Frühsport und zackige Nordic-Walking-Runden waren schnell schon nicht mehr aus dem Tagesablauf wegzudenken. Darüber hinaus habe ich mich viel bewegt und bin ständig auf eigene Faust herumgelaufen. Dazu noch gute Werte bei der Leistungsdiagnostik (top Blutdruck, optimaler Körperfettanteil, überzeugende Fitness) und die Feststellung:

Hej, mein Körper ist ja gar keine Gefahr mehr für mich. Im Gegenteil: Wenn ich ihm vertraue, macht das Leben gleich um ein Vielfaches mehr Spaß.

Jetzt kommt das Wichtigste: Ich habe mich nicht auf der Glückseligkeit dieses Moments ausgeruht, sondern wusste nach all den Jahren schmerzhafter Erfahrungen: Diesmal MUSS ich am Ball bleiben. Obwohl ich ja sonst gar nichts muss

Meine Konsequenz: Direkt danach habe ich mir ein Mountainbike und Nordic-Walking-Stöcke gekauft. Beides  kommt regelmäßig zur Anwendung. Zudem habe ich mich in einem Yogastudio angemeldet und mit Meditation begonnen. Und ich beschäftige mich seitdem konsequent mit Hilfe von Büchern, Gesprächen und verschiedenen Möglichkeiten der Selbsterfahrung damit, wie ich den Zugang zu mir selbst noch vertiefen kann und wie ich mich und meinen Körper annehmen kann, wie er ist.

Solltest du mich fragen “Was sind aus deiner Sicht die 4 wichtigsten Dinge, wenn ich das Vertrauen in meinen Körper zurückgewinnen will?”, antworte ich damit:

Die 4 Schlüssel, um deinem Körper besser vertrauen zu können

1.) Bewege dich jeden Tag. Besser noch: Mach regelmäßig Sport. Und das alles im Idealfall draußen in der Natur. Je mehr dein Körper ein Mindestmaß an Anstrengung gewohnt ist, umso weniger verwechselt er einen schnelleren Puls mit Panik.

2.) Lerne Entspannungstechniken. Mach progressive Muskelentspannung, übe Tai Chi, geh ins Yoga, lerne meditieren oder was auch immer dir am besten liegt. Probier ein paar Sachen aus und dann mach es regelmäßig, ohne nach zweimal Üben schon nach dem Erfolg zu fragen. Der stellt sich von selbst ein. Es sei denn, du hörst nach zweimal wieder auf. Mit all diesen Techniken lernst du dich und deinen Körper besser kennen.

3.) Sei dankbar für jeden Teil deines Körpers. Auch, wenn er mal nicht so tut, wie du willst, dich ärgert, schmerzt, nervt, komische Dinge anstellt. Er gehört zu dir und ist ein riesengroßes Geschenk. Dein Körper merkt sich, wenn du gut zu ihm bist und gut über ihn/mit ihm redest. Und gibt dir das zurück.

4.) Trau dich immer ein bisschen mehr als du dich zu trauen glaubst. Für mich das zentrale Element. Du wirst in dem Thema nur vorwärts kommen, wenn du dich aus deiner stabil gebauten Sicherheitszone heraus begibst. Dein Körper hält viel mehr aus, als du ihm zutraust. Es wird dir nicht erspart bleiben, das ab und an mal auszutesten. Bei mir zum Beispiel gab es folgende Erkenntnisse:

  • Ich sterbe nicht, wenn ich ohne Pulsuhr Sport treibe.
  • Ich sterbe nicht, wenn ich in einer Gegend Mountainbike fahre, in der ich noch nie war und wo mir nur einmal pro Stunde ein Mensch begegnet.
  • Ich sterbe nicht, wenn ich samt Surfbrett von einer fetten Welle herumgeschleudert werde.
  • Ich sterbe nicht, wenn ich bei 35 Grad mit einem 250 Kilo schweren Tandem 50 Kilometer über die Hügel strample.
  • Ich sterbe nicht, wenn ich in eine 90 Grad heiße Sauna gehe (in Estland hatte eine sogar über 100 Grad).
  • Ich sterbe nicht, wenn ich in 12 Grad kaltem Wasser bade.
  • Ich sterbe nicht, wenn ich bei Schneesturm und Graupelschauer zum Nordic-Walking gehe (falls du dich gefragt hast, was das Titelbild soll).
  • Ich sterbe nicht, wenn ich nachts bei minus 15 Grad und Nebel eineinhalb Stunden durch die Winterlandschaft wandere.
  • Ich sterbe auch nicht, wenn ich mit dem Auto und dem Zug fahre oder mal eine unruhige Nacht habe.

Das Fazit

Die Schlüssel dafür, das Vertrauen in den eigenen Körper zu entdecken oder wiederzufinden, haben wir alle in der Tasche. Aber wir müssen sie auch herausziehen und immer wieder die Tür aufsperren. Jeden Tag aufs Neue. Das Vertrauen kommt nicht heute und bleibt für immer. Das musst du dir stets aufs Neue erobern.

Ich persönlich bin in dem Thema schon richtig gut vorangekommen. Die schwierigste Aufgabe meines Lebens fühlt sich an manchen Tagen sogar ganz leicht an. Trotzdem bin ich damit noch lange nicht durch. Das habe ich zum Beispiel dieses Jahr gemerkt, als mein Körper beim Absetzen der Antidepressiva verrückt gespielt hat (und es an manchen Tagen immer noch tut).

Aber ich kenne jetzt die passenden Schlüssel. Es liegt an mir, ob ich sie einsetze.

Wie sind deine Erfahrungen mit dem Thema? Kennst du solch krasse Erfahrungen, wie ich sie gemacht habe? Oder gibt es andere Bereiche, in denen du deinem Körper nicht so recht über den Weg traust? Haderst du vielleicht sogar mit deinem Körper, weil er dir ein besseres Leben verbaut? Ich freue mich auf deinen Kommentar!