Sempre avanti - warum der Blick zurück dich nicht weiterbringt

Hätte, hätte, Fahrradkette

(Herkunft unbekannt)

Wühlst du gerne in der Vergangenheit herum? Weißt du genau, was wann früher hätte anders laufen müssen, damit es dir heute besser geht?

Dann willkommen im Club! Wobei: Ich darf dich gar nicht mehr willkommen heißen, weil ich kürzlich aus dem Club ausgetreten bin. Aber du bist zumindest nicht allein. Es gibt noch viele Mitglieder.

Ich behaupte sogar: Das ist eine Bewegung. Ein echter Volkssport.

Das Training dafür gestaltet sich einfach. Du musst nur andauernd den Blick in den Rückspiegel deines Lebens werfen, dich ein wenig selbst geißeln, viel Schuld bei den anderen suchen und hadern. Richtig schön hadern.

Bald wirst du dadurch zum Profi. Zum angehenden Weltmeister im Hätte-hätte-Fahrradkette-Weitwurf.

Aber ich weiß nicht, ob der Pokal auf deinem Schrank dich glücklich macht. Doch, ich weiß es. Er tut es nämlich nicht.

Warum? Weil dich das ständige Hinterfragen von zurückliegenden Dingen keinen Millimeter weiter bringt.

Einen Schritt zur Seite, einen zurück

Auf der Suche nach einem erfüllten Leben in der Gegenwart verschwendest du deine Energie mit dem Durchstöbern der Vergangenheit. Bestenfalls trittst du damit auf der Stelle. Eher machst du sogar einen Schritt zurück.

Nicht falsch verstehen: Mir geht es hier nicht darum, eine Analyse des Vergangenen zu verdammen. Diese ist beizeiten vernünftig und notwendig – aber nur, wenn der Blick dabei nach vorne gerichtet wird. Sempre avanti eben. Oder “weiter, immer weiter“, wie es Olli Kahn einst so schön formuliert hat.

Ich kann meine gesammelten Erfahrungen dazu nutzen, Muster von Dingen zu erkennen, die mich blockiert oder vorangebracht haben. Und dementsprechend meine zukünftigen Handlungen danach ausrichten, damit es mir möglichst oft möglichst gut geht.

Oder ich suhle mich im Selbstmitleid der vergebenen Chancen, der ungerechten Behandlungen und gemeinen Worte anderer Menschen. Und ziehe die Konsequenz daraus, dass die Welt böse ist und es das Leben nicht gut mit mir meint. Es könnte ja alles so gut sein, wenn nicht …

Die zweite Variante funktioniert mit weniger Anstrengung. Und sie ist Mainstream. Wenn du zuhörst, über was deine Mitmenschen so reden, wirst du dieses Muster oft entdecken.

Mein früheres Leben als ewiger Haderer

Ich selbst habe mich beim Hadern auch immer sehr wohl gefühlt. Dabei gab es zwei Ausprägungstypen:

A) Die Selbstzerfleischung

Unglaublich oft habe ich mich gerade als Jugendlicher oder junger Erwachsener hinterher für irgend etwas geschämt, was ich gesagt habe. Meine Worte waren in der Innenperspektive nicht klug, witzig oder schlagfertig genug – oder alles drei zusammen.

Wahrscheinlich habe ich mich aufgrund meiner Schüchternheit und Introvertiertheit sogar ein Stück weit selbst verachtet.

Ständig habe ich überlegt, was ich wann und wo anders hätte sagen oder machen müssen, damit ich so rüberkomme, wie ich das gerne gehabt hätte.

Ich konnte mir meinen Charakterzug als stillerer Typ nicht verzeihen. Deshalb war jeder Blick zurück mit Selbstvorwürfen verbunden.

Erst später habe ich gelernt, über mich und mit mir zu lachen und damit die ewige Selbstzerfleischung (fast) zu beenden. In schlechten Phasen kommt die hässliche Fratze aber immer mal wieder heraus.

B) Das “was-hat-die-Welt-gegen-mich”-Syndrom

Gegenüber einem Freund habe ich mich mal beklagt, dass ich nie bei Gewinnspielen Erfolg habe. Seine lapidare Antwort: “Du machst ja auch nie bei einem mit.”

Also fast wie bei dem Witz mit dem Mann, der unablässig für einen Lottogewinn betet, bis es Gott zu bunt wird und er sagt: “Gib mir doch wenigstens eine Chance und kauf’ dir endlich einen Lottoschein.”

Es ist furchtbar einfach, sich als Opfer der Umstände zu sehen. Das liefert eine prima Entschuldigung für all die bösen Dinge, die einem widerfahren. Aber nur die Anderen oder die böse, böse Welt sind dafür verantwortlich. Nicht du selbst.

Für mich war immer klar, dass die Studienbedingungen sowie die Unfähigkeit, Unflexibilität und Ungerechtigkeit der Professoren an meinem Scheitern im ersten Studiengang schuld sind. Heute weiß ich: Es lag einzig daran, dass ich stinkfaul war.

Warum sempre avanti das bessere Lebensmotto ist

Das Leben ist nicht immer fair zu dir. Zu mir auch nicht. Aber trotzdem oder gerade deswegen nutzt es nichts, sich in den negativen Gedanken der Vergangenheit zu vergraben.

Du kannst dich jeden Tag bei jemandem darüber beklagen, dass deine beste Freundin so gemein zu dir war und eure Freundschaft damit aufs Spiel gesetzt hat. Oder du versuchst, mit ihr darüber zu reden.

Du kannst immer wieder deine Kindheit durchwühlen und fragen, wann dich deine Eltern wie verkorkst haben. Oder du siehst ein, dass du daran nichts mehr ändern kannst und du jetzt für dein Glück verantwortlich bist – und nicht mehr sie.

Du kannst jammern und zetern, was dein Chef für ein Arschloch ist, warum er dich mies behandelt und dass er dein Leben zerstört. Oder du realisierst, dass niemand auf der Welt dich zwingt, dort zu arbeiten.

Das Schöne ist: Du kannst dich entscheiden. Geht dein Blick ständig ängstlich zurück und du klagst über die Schlaglöcher, durch die du alle gerumpelt bist? Oder schaust du mutig nach vorne und versuchst, durch deine gewonnene Erfahrung die gröbsten Unebenheiten zu umfahren?

Ich habe meine Entscheidung getroffen: Bei mir bleibt der Vorwärtsgang drin.

Hast du es auch schon erlebt, dass du dich von Erlebnissen der Vergangenheit hast ausbremsen lassen? Wie schwer fällt es dir, den Blick ohne Hadern nach vorne zu richten? Ich freue mich auf deinen Kommentar!