tim chimoy nur mut

Eine der größten Herausforderungen des Lebens – wenn nicht gar die größte überhaupt – ist es, seinen Ängsten ins Auge zu schauen. Viele kleine und große Ängste hindern uns täglich daran, unser Leben in all seinen Möglichkeiten auszuschöpfen. 

In der Serie “Nur Mut”, die regelmäßig auf diesem Blog erscheint, befrage ich Menschen, die sich ihren Ängsten in den unterschiedlichsten Bereichen gestellt haben. Diese erzählen, wie sie davon profitiert haben und welche Auswirkungen das auf ihr Leben hatte. Zudem kommen auch Experten zu diesem Thema zu Wort.

In Teil vier der Serie stellt sich Tim Chimoy meinen Fragen. Er arbeitet seit drei Jahren ortsunabhängig als selbstständiger Anbieter für Architektur-Dienstleistungen, hat den erfolgreichen Blog Earthcity ins Leben gerufen und betreibt mit zwei Freunden zusammen den Blog Stilnomaden mit dem Thema: “Für Streifzüge, Stadtkinder und schöne Dinge”. Sein neuestes Projekt: I love mondays. Dort gibt es jeden Montag Podcasts zum Thema “Lebe und arbeite nach deinen eigenen Regeln” zu hören.

Hallo Tim! Du bist seit rund drei Jahren selbstständig. Gibt es noch immer Nächte, in denen du nicht schlafen kannst, weil dich Existenzsorgen umtreiben?

Hey Mischa. Oh ja, die gibt es. Meine Selbstständigkeit läuft erst so richtig gut seit ca. einem Jahr. Die 2 Jahre davor waren eine totale Achterbahnfahrt. Das steckt mir noch in den Knochen. Auch wenn es jetzt wirklich gut läuft, ist die Angst, es könnte morgen wieder schlechter laufen, immer präsent. Sie treibt mich aber auch an. Frag mich in 3 Jahren nochmal!

Du schreibst davon ja ganz offen in deinen Artikeln und deinem E-Book. Wie sehr hat dich die Angst belastet, irgendwann nicht mehr genug Geld zum Leben zu haben beziehungsweise deine Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können?

Diese Angst belastet einen, keine Frage! Aber sie ist auch ein großer Ansporn. Zudem habe ich einfach gelernt, mit Angst und Ungewissheit zu leben. Ungewissheit ist mein Freund geworden. Ich kann auch deutlich besser mit Ängsten klarkommen als mit Tristesse im Arbeitsalltag, Stagnation und anderen negativen Gefühlen, die man in der klassischen Arbeitswelt oft hat.

Wie hast du es geschafft, nicht in der Angstschleife hängenzubleiben, sondern den Blick immer wieder aufs Wesentliche zu richten, nämlich dein Business, und optimistisch zu bleiben. Hast du da einen Trick?

Ganz wichtig: Umgib dich mit positiven Menschen, die dich in dem, was du tust, unterstützen und dich zumindest ein Stück weit verstehen. Du musst an das glauben, was du tust. Das fällt leichter, wenn es das Umfeld auch tut. Dein Erfolg muss zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Zudem brauchst du Erfolgs-Meilensteine. Das kann am Anfang schon der erste online generierte Umsatz von 3,57 Euro sein. Davon kannst du dir zwar kein Abendessen leisten, aber: Es motiviert! Hangele dich von Motivation zu Motivation. Kleine Durchhänger dazwischen sind völlig normal.

Sind Ängste letztlich unausweichlich, wenn man sich selbstständig macht und nicht gerade zehn- oder hunderttausende von Euro als Reserve in der Hinterhand hat – was ja der Normalfall sein dürfte?

Völlig normal. Ängste treiben uns doch an. Man sollte Ängste nicht verteufeln, sondern mit ihnen leben lernen und damit umzugehen wissen.

Ich denke, dass diese nackte Angst viele davon abhält, ihr eigenes Ding zu machen. Wie ermutigst du solche Menschen trotzdem, das Risiko einzugehen?

Klar, ein Risiko ist da. Selbstständigkeit ist definitiv nix für Sicherheitsfanatiker. Aber stell dir einfach mal den „Worst Case“ vor? Was kann schon passieren? Alles recht unangenehm, wenn ein Business in die Hose geht. Aber vermutlich wirst du weder unter der Brücke schlafen müssen noch verhungern. Porridge und ne Dose Kidney-Bohnen gibt’s bei Aldi für 70 Cent. Ich hab auch schon mal ein Jahr lang nur Instant-Nudeln, Äpfel und Kranwasser zu mir genommen. Geht alles. Eine Frage des Willens. Man muss nur wieder aufstehen, wenn man auf die Nase gefallen ist, und nicht liegen bleiben. Liegen bleiben ist eh nur in Ländern mit gutem Sozialnetz eine Option. Gut, dass es dieses Netz bei uns gibt. Aber das sorgt eben auch dafür, dass manch einer liegen bleibt.

Muss man ein spezieller Typ für die Selbstständigkeit sein – oder wer sollte es denn auf gar keinen Fall machen?

Wie gesagt, wenn du ein Sicherheitstyp bist, dann wird es schwer. Ich glaube zwar daran, dass Selbstständige langfristig beruflich und finanziell den sichereren Weg einschlagen, da sie lernen, auch ohne Abhängigkeiten zu überlegen. Aber wer sehr auf Sicherheit bedacht ist, wird mit den Ängsten und Unsicherheiten in den ersten Jahren schwer klarkommen. Zudem ist Selbstständigkeit nichts für Menschen, die um 18 Uhr den Stift fallen lassen und sich zuhause vor die Glotze setzen wollen. Man braucht schon Ambitionen und Ziele. Aber die hatte ich vor 6 bis 7 Jahren auch noch nicht in der Form, die kann man sich erarbeiten – und irgendwann packt’s einen dann.

Obwohl du selbst bekennender Digitaler Nomade bist, schließt du dich dem derzeitigen Hype nach dem Motto „Kündige sofort deinen Job, ziehe los, du wirst es schaffen!“ nicht an, sondern argumentierst in deinen Artikeln sehr ausgewogen und vorsichtig. Haben sich deiner Meinung nach zu viele Menschen anstecken lassen, Dinge zu tun, die sie vorher nicht richtig durchdacht hatten?

Klares Ja! Ich habe es noch nie verstanden, wie Menschen es feiern können, gekündigt zu haben. Das ist so, als würde man einen angehenden Turmspringer dafür feiern, dass er auf den 10-Meter Turm gestiegen ist. Klatschen sollte man doch erst nach Sprung, oder? Egal, ob Bauchplattscher oder nicht. Klar, die Kündigung ist ein notwendiger Schritt zur Selbstständigkeit. Es ist ein wichtiger Schritt. Auch eine Befreiung. Aber ich habe zu viele Menschen kennengelernt in den letzten 2 Jahren, die damit schon meinen, den halben Weg zum Erfolg gegangen zu sein. In den kommenden Jahren werden mit wachsender Begeisterung fürs ortsunabhängige Arbeiten sicher einige Menschen auf die Nase fallen und später wieder Halt in der Festanstellung suchen. Also vorher genau überlegen, was man da macht. Nicht von Angst zurückhalten lassen, aber in sich selbst hineinhorchen und alles gut abwägen.

Andererseits ist es ja immer eine Gratwanderung: Eine absolute Sicherheit für das Gelingen gibt es nie, und auch du hast dich ohne Netz und doppelten Boden ins Abenteuer gestürzt. Was ist aus deiner Sicht der ideale Weg?

Ja, ich habe mich ins Abenteuer gestürzt. Aber wie schon gesagt: Ich habe mich auch ein Jahr lang von Instantnudeln ernährt. Für mich war der Weg so richtig und wichtig. Ich brauchte diesen Sprung ins kalte Wasser. Aber ich weiß ja rückblickend, wie hart das alles war. Deshalb will ich jetzt nicht so tun, als wär das alles ganz easy gewesen. Einen idealen Weg gibt es nicht. Ich rate den Menschen aber heute eher dazu: Baut euch schon mal eine Einkommensquelle auf, während ihr noch im Job seid. Wenn es sein muss, dann heißt das unter Umständen halt: 6 Monate lang auch am Wochenende malochen. Rückblickend finde ich das den eleganteren Weg. Aber wer (so wie ich) den ultimativen Arschtritt braucht, der muss dann halt ohne Netz und doppelten Boden kündigen.

Mal angenommen, ich habe mich überwunden, meine Angst abgelegt und eine passende Geschäftsidee: Was sind dann die wichtigsten Schritte, damit ich Erfolg habe – und vor allem, wie lange ist die Durststrecke, die ich einkalkulieren sollte?

Das mit der Durststrecke ist so eine Sache. Es kommt natürlich darauf an, für welches Business du dich entscheidest und auch, wie viel Durststrecke du tatsächlich überbrücken kannst. Wenn du eine Dienstleistung anbieten willst, dann sollte nach spätestens 3 Monaten Geld fließen. Es muss noch nicht viel sein, aber Einnahmen müssen schnell da sein, sonst läuft etwas falsch. Das schwierigste ist dabei ohne Zweifel die Kundenakquise. Daher solltest du dir einen realistischen Plan machen, wie du potentielle Kunden überhaupt erreichst. Schreibst du sie an? Rufst du sie an? Macht es Sinn, Adwords-Werbung zu schalten? Kannst du bei Xing eventuell etwas reißen? Kannst du auf ein bestehendes Netzwerk zurückgreifen?

Wenn du keine Dienstleistung anbieten willst, sondern gleich mit einem virtuellen Produkt an den Start gehen willst oder einen Onlineshop betreiben willst o.ä., dann ist die Durststrecke natürlich länger. Dieser Schritt ist dann aber wirklich nur mit guten Rücklagen und einer erhöhten Risikobereitschaft sinnvoll. Aber auch hier ist das Eigenmarketing und somit die Akquise am Anfang das böse Monster, welches es zu bezwingen gilt. Wer denkt, das macht man so nebenher (wie ich damals fälschlicherweise dachte), der liegt falsch.

Was mache ich, wenn mich zwischendurch die pure Existenzangst überwältigt, weil es nicht so läuft: Aufgeben? Noch härter arbeiten? Einen Brotjob suchen? Gleich zurück in die Festanstellung?

Einen Brotjob zu suchen, ist eine super Lösung. Halbtags irgendwo wieder Geld gegen Zeit tauschen, um genug zum Leben zu haben und die Miete bezahlen zu können. Die restliche Zeit weiter Vollgas geben, sich etwas Eigenes aufzubauen. „Härter arbeiten“ ist auch immer so eine Sache. Man kann sehr hart arbeiten, aber sich auf die falschen Dinge konzentrieren. Mach das, was Umsatz bringt!

Bitte ergänze am Ende noch den Satz: Das beste Mittel gegen die Angst ist …

… sie als Antrieb zu verstehen, und nicht als Gefahr, der man ausweichen muss.

Vielen Dank für das Interview, Tim!