Kürzlich habe ich mich auf einer Blogparade herumgetrieben, heute nehme ich an einer Blogparty teil. Schreibe also schon wieder zu einem Thema, das jemand anderes vorgegeben hat. Ob mir selbst nichts mehr einfällt? Keine Angst, du bekommst noch genug von mir um die Augen gehaut.

Aber wenn der liebe Christoph den ersten Geburtstag seines wunderbaren Blogs Jakobsweg-Küstenweg feiert, mich zu seiner Party einlädt (was im Prinzip dasselbe wie eine Blogparade ist, nur deutlich schöner klingt) und noch dazu eine wirklich gute Frage stellt, kann ich gar nicht Nein sagen. Und das will er von mir und anderen Bloggern wissen:

Welche Reisebekanntschaft oder welcher Reisende (ob populär, fiktiv oder persönlich bekannt) hat dich am meisten geprägt?

Ich hatte die Frage noch gar nicht zu Ende gelesen, da tauchte schon ein Bild vor mir auf: ein Bär von einem Mann im Neoprenanzug, muskulös, ganz leichter Bauchansatz, Bart, Sonnenbrille. Ein grandioser Tag am Strand von Ramberg, Lofoten, Nordnorwegen, 25 Grad, Wassertemperatur 12 Grad, 24 Stunden Sonne am Stück. Kleiner Exkurs: Wer noch nie dort war, sollte die Lofoten schleunigst auf seine Bucketlist setzen.

Roger war angetreten, mir das Seekajakfahren beizubringen – zumindest so viel, wie in einen dreistündigen Schnupperkurs passt. Den großen Wochenendkurs hatte ich leider aufgrund meiner Zahnaffäre verpasst. Roger wusste nicht, dass ich in Sachen Wassersport bis kurz zuvor eher ein Schisser war (okay, in vielen anderen Bereichen auch). Und ich ließ mir nichts anmerken, schließlich war ich zu dem Zeitpunkt schon zwei Monate allein mit dem VW Bus unterwegs und hatte vor lauter neuem Selbstbewusstsein schon die gefühlte Größe von Dirk Nowitzki und die Stärke von Arnold Schwarzenegger.

Der Kajaklehrer meines Vertrauens

Wir paddelten also nach den ersten Lektionen gleich mal aus der Bucht aufs Meer hinaus. Dank Rogers Anleitung passierte ich eine knifflige Engstelle und auch das deutliche Schaukeln der Wellen machte mir nichts aus. Warum? Weil ich von der ersten Minute an wusste, dass ich mich voll auf Roger verlassen kann. Ein guter Beobachter mit bestimmten, aber freundlichen Anweisungen – ach, einfach der Kajaklehrer meines Vertrauens.

Nach einer guten Stunde steuerten wir für die Pause eine steinige Mini-Insel an. Wir setzten uns hin, packten unsere Trinkflaschen, nahmen ein paar durstige Schlucke. Und redeten. Und redeten. Und redeten.

Rückblickend waren das die intensivsten, an- und aufregendsten 45 Minuten (eigentlich wollten wir nur 20 Minuten pausieren, so dauerte der Schnupperkurs halt etwas länger), die ich je mit einem fremdem Menschen in einem Gespräch erlebt habe. Wobei, was heißt fremd? Ist jemand noch ein Fremder, dem du schon nach wenigen Minuten von deiner vergangenen seelischen Pein, deiner Krankheit, deinen schlimmsten Momenten erzählst?

Eigentlich wollte Roger nur wissen, warum ich allein unterwegs bin. Als ich es ihm leicht andeutete, fragte er immer weiter nach, zeigte aufrichtiges Interesse, bis ich ihm meine ganze Geschichte erzählt hatte. Es war wie eine Therapiestunde auf offener See. Es fühlte sich so richtig an, alles rauszuhauen.

Ein Mann, der den täglichen Wahnsinn nicht mitmacht

Roger hörte aber nicht nur aufmerksam zu. Er berichtete von seiner Freundin, die Ähnliches durchgemacht hatte. Von seiner Einstellung zum Leben, zur Natur, zum Leistungswahn unserer hektischen Gesellschaft und der Frage, warum wir Menschen uns immer mehr von unseren eigentlichen Bedürfnissen entfernen.

Und dass er auf so ein Leben noch nie Lust hatte und sich deswegen über all die Jahre erfolgreich geweigert hat, am täglichen Wahnsinn der Bürosklaverei teilzunehmen. Was er will: in der Natur sein, mit Menschen arbeiten, jeden Tag Sport treiben. Was er macht: in der Natur sein, mit Menschen arbeiten, jeden Tag Sport treiben. Ganz einfach, ganz konsequent, bewundernswert!

Roger strahlte eine tiefe innere Ruhe aus. Ja, er war auch seit vielen Jahren Angestellter, als Lehrer in verschiedenen Wasser-und Wintersportarten. Aber er war trotzdem frei, suchte sich neue Gegenden und Arbeitgeber aus, wie er gerade Lust darauf hatte. Kein unbefristeter Vertrag irgendwo, dafür die absolute Freiheit, nach jeder Saison wieder neu zu überlegen, was er machen will. Ein Leben komplett im Einklang mit seinen Werten.

Mischa und die Schlittenhunde?

Er machte mir auf Anhieb den Vorschlag, im Winter nach Nordnorwegen zu kommen, um als Schlittenhunde-, Schneeschuh-, und Polarlicht-Führer für deutsche Gruppen zu arbeiten. Ein Anruf koste ihn das, dann hätte ich den Job, meinte Roger. Er lud mich für meinen nächsten Skandinavientrip in sein Haus ein, um mir “sein” Norwegen aus der Sicht eines Einheimischen zu zeigen.

Beide überragenden Angebote habe ich bisher noch nicht angenommen. Aber es tut allein schon gut zu wissen, dass es sie gibt. Mit Sicherheit wird es mich wieder in seine Gegend verschlagen, und wer weiß, was wir dann zusammen anstellen. Inzwischen hat sich Roger selbstständig gemacht, bietet Übernachtungen in seinem Haus und geführte Touren an, bei denen die Menschen das Leben in Nordnorwegen hautnah erleben.

Roger macht einfach sein Ding, genauso furchtlos, wie er sonst mit seinem Kajak auf meterhohen Wellen surft (ja, es gibt tatsächlich Surfkajaks). Und er ist eine Seele von Mensch. Bevor ich Ramberg verlassen habe, hat er mich noch mehrmals gefragt, ob ich wirklich seine private Visitenkarte habe und dass ich mich unbedingt melden soll. So schreiben wir uns jetzt über Facebook und lassen uns überraschen, wann und zu welcher Jahreszeit wir uns wiedersehen werden.

Bis dahin bleibt mir seine tiefe, knarzige Stimme im Ohr und erinnert mich immer wieder an einen der intensivsten Momente meiner halbjährigen Europatour. Ich sage einfach: Danke Roger, dass ich deine Bekanntschaft machen durfte!

Hast du das auch schon erlebt, dass du mit Fremden auf Reisen ganz tiefgehende Gespräche hattest? Tun wir uns vielleicht sogar leichter, weil wir wissen, dass unser Gegenüber uns nur ein ganz kurzes Stück unseres Weges begleitet und kein Teil unseres Alltags ist? Ich bin gespannt auf deinen Kommentar!