Fast wäre ich in die Falle getappt. Wochenlang hatte ich die Wettervorhersage beobachtet und die Karten fürs Yoga-Festival am Bodensee erst gebucht, als gut 1o Tage vorher alle Zeichen auf einem herrlichen letztem August-Wochenende standen. SUP-Yoga in der Badehose, danach ins Wasser springen, zwischen den Kursen in der Sonne liegen oder im Schatten chillen – ein Träumchen!

Die Realität: Handgestoppte 28,974 Minuten Sonnenschein in 4 Tagen, dazwischen viel kühler Regen mit Pausen. Ab dem Moment der Buchung hatte sich die Prognose täglich Richtung Kaminofenwetter verändert.

Und meine Laune erstmal mit. Bis ich die Falle bemerkt habe. Mein Verstand wollte mir vorgaukeln: Nur bei Sonnenschein und Wärme kann so ein Open-Air-Yogafestival (selbst wenn es dort zwei große Zelte gibt) richtig gut sein. Und weil es viel Regen geben wird, bin ich jetzt Opfer der Umstände und kann nicht so viel Spaß haben, wie mir zusteht.

Nach tagelangem Wetter-App anbeten und fluchen war es eine echte Erleichterung, diesem stressigen Gedanken keinen Glauben mehr zu schenken. Denn zum einen finde ich mimimi und Opferhaltung eh unsexy. Zum anderen habe ich schon seit ein paar Jahren einen verblüffend einfachen Leitsatz, über den ich schon vor drei Jahren geschrieben habe: “Es ist, wie es ist.”

Also alle Erwartungshaltung auf Null gestellt. Stattdessen für alle Möglichkeiten geöffnet, die das Wochenende bieten kann. Ja, es kann sein, dass mich Regen und Kälte ankotzen werden und ich in Zukunft Yoga nur noch in geschlossenen Räumen mit konstanter Luftfeuchte und Temperatur ausüben werde. Oder es kann sein, dass es ganz geil wird. Und ich darf mich einfach drauf einlassen und überraschen lassen.

Was für eine Befreiung! Unsere einzige Aufgabe hier auf Erden ist, Erfahrungen zu machen.

Dann mache ich einfach eine weitere Erfahrung, die – völlig egal, wie sie ausfällt – mir in meinem Leben weiterhilft.

Opfer oder Schöpfer? Lieber Nummer zwei

In diesem entspannten Zustand fahre ich mit meine Frau Donnerstagmorgen im strömenden Regen los. Der dem Festival nahe gelegene Campingplatz hatte mir am Vorabend mitgeteilt, dass die Chancen auf einen Platz gen Null gehen. Eh nur wenige Stellplätze, keine Abreisen in Sicht. Darauf ich zu meiner Frau: “Dann manifestiere ich uns jetzt einfach einen.”

Um 11.30 Uhr hängt bei unserer Ankunft immer noch das Schild “Platz belegt”. Ups. Auch die Miene des Platzwarts beim Blick in sein Büchlein sieht noch nicht nach Jubelsprüngen aus. “Nee, eigentlich haben wir keinen Platz.” 10 Sekunden später: “Ach kommen Sie mit, wir finden einfach einen.” Müßig zu erwähnen, dass dieser eine “Notplatz” in erster Reihe mit Seeblick ist.

Nein, wir haben keinen Platz bekommen. Es wurde gleich die VIP-Lounge.

Alternativ zum hinfahren, probieren und dann weiterschauen hätte ich mich vorher drüber beklagen können, dass man auf dem Platz nicht reservieren kann, dass es total doof ist, dass das Festival noch während der Ferien stattfindet und dass es doch überhaupt nicht angehen kann, überhaupt so kleine Plätze zu bauen, auf denen wir nicht unterkommen.

Zum Glück weiß ich inzwischen dank unzähliger Experimente in eigener Sache, dass mir die Schöpferrolle deutlich besser steht als das früherer Opfer-Dasein. Und dass echt abgefahrene Dinge passieren, solange ich in dem Vertrauen bleibe, dass in meinem Leben abgefahrene Dinge passieren dürfen.

Die Drama Queen vom Bodensee

Um diese These zu untermauern – bzw. mich selbst für meine no-more-mimimi-Haltung zu feiern – liefert mir das Universum am Samstagmorgen den geilsten Beweis. Während ich beim Zahlen in der Rezeption bin, stürmt eine Joggerin herein. “Darf ich was fragen?” Na klar.

Dann ledert sie mit erregter Stimme los, dass sie so froh sei, es gar nicht erst auf dem Campingplatz probiert zu haben. Schließlich könne man dort nicht reservieren und wenn sie dann gestern dort mit ihrem Rad angekommen wäre, hätte sie keinen Platz bekommen und das sei ja wohl das Allerletzte. Den Hinweis des Platzbetreibers, dass sie sehr wohl einen Platz bekommen hätte, ignoriert sie in ihrem Drama. Das erst endet, als ich sie bitte, erst einmal meine Geschäfte beenden zu dürfen.

Drama Queen tritt ab. Der Platzbetreiber findet mich so cool, dass er mir gleich mal ne Handvoll Äpfel schenkt. Und ich grinse mir einen und denke mir: Geilste Opfernummer überhaupt. Anstatt ihre Optionen vor Ort einfach mal auszuloten und ihre Energie aufs Gelingen zu lenken, hat sich die Frau wahrscheinlich schon zwei Tage vorher auf ihren Auftritt der Entrüstung vorbereitet. “Die wollen mir keinen Platz reservieren. Niemand mag mich. Mimimi.”

Dabei wäre das Happy End für sie vorbereitet gewesen. Doch sie wollte partout nicht ihr gewohntes Genre wechseln.

Nach der Schokolade kommt das Verständnis

Ist es schlimm, wenn wir in die Opferhaltung rutschen? Nein. Das kennst du bestimmt genauso wie ich. An bestimmten Tagen tun wir uns mehr leid als sonst und würden schon ganz gerne die Umstände für all den Schmerz verantwortlich machen.

Was hilft: Nach einer gehörigen Portion Selbstmitleid (und viel Schokolade) zu verstehen, was wir da gerade tun. Dass wir in dem Moment unsere Macht (und damit verbunden unsere gute Laune) abgeben. Unser Verstand jubiliert: “Haha, jetzt glaubt er auch noch den Schmarrn, den ich ihm die ganze Zeit einflüstere.” Dann liegt es an mir zu sagen: “Sorry, kein Bock mehr auf die olle Opfer-Story. Ich bin raus. Dreh den Langweiler-Film mit jemand anderem.”

Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Es ist dein Leben. Es ist deine Entscheidung und Verantwortung, zu leiden oder etwas zu verändern. Alles andere sind Ausreden. 42 davon, um dein Leben nicht verändern zu müssen, habe ich übrigens hier zusammengestellt.

3 Wetter-Apps – jetzt echt?

Zurück zum Yoga-Festival. Ja, das Wetter war noch regnerischer, als es die pessimistischte meiner drei Wetter-Apps angezeigt hatte. Da fällt mir gerade beim Schreiben auf: 3 Wetter-Apps zu haben, ist auch ganz schön opfermäßig, oder? Ich kümmer mich nachher gleich drum.

Am Ende hätte ich mir kein geileres Wetter für die 4 Tage vorstellen können. Selbst bei anstrengenden Yoga-Sessions oder wilden Tanzeinlagen gab es immer ein kühles, frisches Lüftchen. Im Ostbad wollte bei 15 Grad niemand baden, sodass das ganze Gelände samt Sanitäranlagen so richtig VIP-mäßig uns Yogis gehörte. Am Lagerfeuer zu sitzen war bei der Witterung noch romantischer. Im Zelt zu meditieren, während der Regen sanft aufs Dach plätschert: unbezahlbar. Oder bei der Schlussentspannung des Lach-Yogas einfach 10 Minuten ohne Matte auf der kühlen Erde zu liegen, jeden Grashalm und jede Unebenheit zu spüren: eine großartige Erfahrung, die ich nicht missen möchte

Wäre ich mit dem ersten stressigen Gedanken und in der Opferhaltung dort hingefahren: Gute Nacht, Freunde! Würde ich wahrscheinlich 10 Tage später noch erzählen, dass ich mich voll verzockt habe.

Ohne mimimi war es dagegen einfach nur eine richtig geile Erfahrung.

Ich weiß, dass Jammerer in diesem Land einfach die besseren Gesprächspartner sind. Man versteht sich unter Opfern. Leiden wir nicht alle unter den Umständen? (mit zwei Autos vor dem Haus und die Hälfte des Kühlschrankinhalts wird jede Woche weggeworfen).

Ich weiß auch, dass ich mit meinen klaren und lösungsfixierten Ansätzen viele Menschen provoziere (by the way, weil ich so viele Nachrichten dazu bekomme: Deine Freiheit/Selbstliebe beginnt weder mit dem Kündigen deines Jobs noch mit dem Kauf eines Wohnmobils. Und es ist auch scheißegal, ob du Kinder hast. Falls du es nicht glaubst, frag die Eltern, die es schon vorleben).

Ich bleib dann mal sexy

Doch es hilft ja nix. Mimimi und Opferhaltung machen uns einfach nicht schöner.

Ich bleib dann lieber mal sexy.