Gestern hat eine Freundin meiner Frau zum ersten Mal meinen Blog gesehen. Ein Blick auf mein Kurzporträt, ein paar Überschriften gelesen und dann die Feststellung: “Das lesen wahrscheinlich hauptsächlich Frauen.”

In der Tat! 70 Prozent Frauen, 30 Prozent Männer. Eine Quote, die schon fast Dimensionen erreicht wie im Reitverein, der Yogastunde, dem Kunstgeschichtestudium, der Ausbildung zur Avon-Beraterin (gibt’s die eigentlich noch?) oder zur Tupper-Verkäuferin (oh ja, die gibt’s noch, habe ich gerade beim Blick in den Küchenschrank festgestellt).

Meine Frau sagt, sie habe sich so langsam dran gewöhnt, von wie vielen Frauen ich virtuell geherzt, gedrückt, geknuddelt, geknutscht und mit Herzchen auf Facebook bedacht werde.

Ich auch. Und ich genieße es. Der Hahn im Internet-Korb. Ich liebe es, wie viele Frauen hier (oder in privaten Nachrichten) ihr Leben reflektieren, diskutieren, ihre Geschichte erzählen, spannende Anregungen geben, sich mitreißen lassen, probieren, hinterfragen, zweifeln (vielleicht manchmal zu viel) und offen für neue Wege sind.

Und ihr, Männer? Zum Glück lasst ihr mich nicht ganz allein. Ich ziehe erst einmal meinen Hut vor den 30 Prozent (im Vergleich zu den meisten Yogastunden ein verdammt hoher Anteil). Das heißt immerhin, dass in den vergangenen 2 Jahren rund 22.000 Männer sich auf diesem Blog getummelt haben.

Die meisten eher als stille Mitleser, das weiß ich auch aus persönlichen Gesprächen. Und einige, die hier mal ihre Schutzhülle fallen lassen und offen darüber schreiben, was sie bewegt.

Bin ich zu weiblich?

Nichtsdestotrotz: 30 Prozent bedeutet eine klare Minderheit. Ich höre gerade frühere Weggefährten aus besten Kneipen-Tagen murmeln: “Kein Wunder bei dem Weiberscheiß hier.”

Womit wir bei der entscheidenden Frage wären: Ist der Blog bei Frauen so beliebt, weil die Themen so weiblich sind? Oder weil hier ein Mann ganz offen über Dinge spricht, die andere Männer nicht einmal ihrem besten Freund erzählen würden?

Schließlich ist ein Mann stark. Hat keine Angst. Muss immer kämpfen. Weint nicht. Beschützt und muss nicht beschützt werden.

Ein Mann schreibt Blogs über Technik, Autos, Produktivität, Sport, Whisky und Outdoor-Abenteuer (zum Glück, sonst gäbe es so viele gute Blogs nicht).

Aber er schreibt doch nicht Artikel mit dem Titel “Ich liebe mich (so wie ich bin).” Oder?

Männer, wir müssen reden!

Okay, diese plumpe Aneinanderreihung von Klischees war gerade nicht fair. Werfen wir doch lieber einen Blick auf die Realität.
Ah okay, das sind ja gar keine Klischees. Ich sehe großteils (ob das im Verhältnis 70:30 ist, hat mir das Statistische Bundesamt noch nicht abschließend bestätigt) alt vertraute Rollenbilder, die unserer Eltern- und Großelterngeneration auf Anhieb gut gefallen würden:

Männer, die …

  • als Hauptverdiener und -ernährer ihre 35 oder 40 Berufsjahre herunterreißen, ohne sich mal eine längere Auszeit zu gönnen (nein, eine Woche Malle fällt nicht unter die Kategorie)
  • zielstrebig ihren Karriereweg gehen, dabei immer ein bisschen machtgeiler werden und die Tritte von oben und ihre eigenen Tritte nach unten als völlig normal ansehen
  • 10-mal mehr (Wert nach oben beliebig variierbar) Zeit und Geld in ihre Autos und technischen Geräte stecken als in ihre Gesundheit und Ernährung
  • ihre Angst und Unsicherheit fortlaufend mit Alkohol kaschieren
  • wesentlich mehr darunter leiden, wenn ihr Fußballclub verliert, als dass sie all ihre Träume nach und nach unter den unausweichlich scheinenden Lebenszwängen begraben müssen (oder es schon lang getan haben)
  • lieber in der Öffentlichkeit zugeben würden, die Frau ihres Chefs flachgelegt zu haben als dass sie jeden Morgen in der U-Bahn vor Angst ein Hemd durchschwitzen und sich vor Arbeitsbeginn im Büroklo umziehen müssen.
  • selbst dann noch sagen “Läuft!”, wenn der Gerichtsvollzieher gerade die teuren Möbel aus dem Haus tragen lässt und Frau mit Kindern schon das Weite gesucht haben
  • glauben, dass die Wissenschaft die Bibel ist, Yoga ein Kind des Teufels, Bio-Gemüse etwas Unnatürliches, mit dem die Menschheit ausgerottet werden soll und Currywurst mit Pommes eine adäquate Mittagsmahlzeit für einen produktiven Arbeitstag.

Ist das lustig? Ne, echt nicht.

Was also tun, Männer? Wenn du diesen Artikel liest, besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass du nicht ganz in dieses Rollenbild passt.

Und trotzdem kein Jammerlappen bist, der jeden Sonntag Rosamunde Pilcher im ZDF sieht, Synchronschwimmen als Lieblingssportart hat und nur noch in Männergruppen seine großen und kleinen Probleme beweint (wobei das so als Experiment eigentlich ganz interessant klingt).

Sondern wahrscheinlich einer bist, der keine Lust auf die Abziehbilder des Lebens hat. Der gerne mal wirklich hinhört, wenn es um seine eigenen Themen und die seiner Freunde geht und ehrlich nachfragt. Der sich mehr Gedanken über seine Einstellungen, Verhaltensweisen und Gefühle als über die taktische Aufstellung seines Lieblingsteams macht. Der neugierig auf das Leben ist und keine Lust mehr auf vorgefertigte Antworten hat.

Und vor allem keiner, der die ganze Zeit wie ein Gorilla herumhüpft, laut schreit und sich dabei auf die Brust klopft.

He, Männer, wir sind keine Affen mehr und müssen auch keine wilden Tiere mehr jagen, um zu überleben.

Wäre es nicht langsam an der Zeit, uns und unsere Verhaltensweisen zumindest ein wenig an die Gegebenheiten der heutigen Zeit anzupassen?

Warum müssen wir ständig alles so unfassbar wichtig nehmen? Uns ständig aufplustern und übertrumpfen, bis wir vor lauter Business- und Machtgeilheit kaum mehr laufen können?

Warum können wir nicht einfach über die meisten Dinge lachen, die uns tagtäglich passieren und beschäftigen, weil sie im Vergleich zur Größe der Welt und dem Wunder des Lebens schlicht und ergreifend lächerlich sind? Wer das nicht glaubt, findet ziemlich viel beeindruckende Literatur dazu. Unter anderem das großartige Interview, das der kürzlich gestorbene Guido Westerwelle im November 2015 dem Spiegel gegeben hat.

Männer und ihre Angst vor dem Neuen

Meine These aufgrund eigener Erfahrung und früherer Verhaltensweisen ist: All die Wichtigtuerei rund um den Beruf gibt uns Männern die Sicherheit, dass wir jemand sind (“Ich bin Redakteur. Ich bin Rechtsanwalt. Ich bin Lehrer.”).

Damit ersparen wir uns nervige Fragen danach, was wir wirklich sind bzw. was uns bewegt. Und was wir mit all der vielen Zeit anfangen würden, die da wäre, wenn wir unsere Jobs nicht mehr hätten und trotzdem genug Geld zum Leben da wäre.

Antworten auf diese Fragen gibt es in den seltensten Fällen beim bierseeligen Stadionbesuch und auch nicht beim wöchentlichen Abteilungsmeeting.

Für derlei Erkenntnisse muss ich einmal etwas in Sachen “innere Reise” riskieren, Neues ausprobieren, mich öffnen und über kurz oder lang anerkennen, dass es neben meinem vorgefertigten Bild von der Welt noch ziemlich viele andere und sehr bunte Bilder gibt.

Ich behaupte, dass die meisten Männer im Gegensatz zu vielen Frauen nicht den Mut dazu haben, einmal hinter die Kulissen zu blicken und sich auf spannende Entdeckungsreisen zu begeben.

Dabei ist so viel herrliches Neuland in Sicht, wenn wir uns nicht mehr hinter den lieb gewonnen Schutzmauern verstecken, sondern uns öffnen. Nach innen und nach außen. Für mich beginnt echte Stärke da, wo ich Schwäche zeigen kann – und mir trotzdem oder gerade deshalb meine Männlichkeit bewahre.

Positiver Nebeneffekt: Gespräche mit der Partnerin können dadurch ein ganz neues Niveau erreichen. “Hast du auch an die Butter gedacht?” muss damit nicht mehr der Höhepunkt der täglichen Kommunikation sein.

Knacken wir die 30-Prozent-Marke?

Nochmal zurück zur Freundin meiner Frau. Sie ist gestern zu einer 16-tägigen Pancha Karma-Kur im Allgäu gefahren, einer intensiven Reinigungs- und Ausleitungskur für Körper und Geist. Im Vorjahr war sie auch schon dort und hat uns von dem intensiven Prozess, der dadurch in Gang kommt, vorgeschwärmt.

Wie viele der 7 Teilnehmer letztes Jahr dort Männer waren, wollte ich von ihr wissen. Die Antwort war 2. Irgendwas muss an dieser 30-Prozent-Quote dran sein …

Und liebe Männer, wer traut sich den Text an einen Freund weiterzuleiten, der diesen mal dringend lesen sollte? Oder welche der Frauen legt den Artikel ihrem Mann als Frühstückslektüre hin? Ich freue mich auf deinen Kommentar zu dem Thema – heute noch mehr als sonst.

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