Ach, Juist, muss ich wirklich schon weg? Ich spüre ein paar Abschiedstränen in den Augen. Während ich hier am traumhaft sonnigen Sonntagnachmittag diese Zeilen schreibe, bin ich wieder von dieser unfassbaren Stille umhüllt.

Der Blick geht aufs Wattenmeer, ein paar Möwen kreischen. Dann und wann Hufgeklapper der Pferde, die vor die Kutschen gespannt den Job von Autos und Lastern übernehmen. Die sind hier nämlich nicht erlaubt.

Irgendetwas hat diese Insel mit mir angestellt, was weit über das reflexhafte “Ach ist das schön hier!” hinausgeht. Da ist so ein tief sitzendes Gefühl, dass mir Juist etwas Wichtiges sagen will. Ich spüre, dass ich nach 6 Tagen hier so langsam bereit für die Botschaft wäre. Doch morgen geht es nach Hause.

Ich ringe um Worte und schaffe es doch nicht, die Magie dieses speziellen Ortes zu beschreiben. Vielleicht heißt Juist auch deshalb “Töwerland”, also Zauberland, weil man sich beim Zaubern auch nicht erklären kann, was da gerade passiert (außer man ist selbst Zauberer).

Früher hätte ich das, was ich gerade erlebe, als sentimentalen Quatsch abgetan. Inzwischen liebe ich es aber, emotionalen Aufruhr in seiner vollen Wucht zuzulassen und die gesamte Energie dieses Prozesses zu spüren.

Wenn ich auch vieles davon noch nicht in Worte kleiden kann, habe ich doch ein paar zentrale Lehren dieser Insel verstanden.

  1. Im Verhältnis zur riesigen Fläche eines 17 Kilometer langen und extrem breiten Sandstrandes sind wir Menschen doch nur Ameisen. Wenn dann der Sturm an einem zerrt, die Wellen donnern und Bilder zeigen, was die Natur schon alles mit diesem Landstrich angestellt hat, weiß man einmal mehr, wer in Wirklichkeit das Sagen hat. Und das sind nicht wir Menschen, auch wenn wir uns immer für die Größten halten.
  2. Die Realität ist die beste App. Das Wetter ist so, wie es ist. Und nicht, wie es irgendein technisches Gerät behauptet. Vor allem an der Nordsee. (Die Vorhersageirrtümer zu unseren Gunsten haben wir gerne in Kauf genommen und unvorhersehbare Regenschauer tapfer-durchnässt überstanden.)
  3. Große Stille kann ganz schön unheimlich sein. Wenn alle typischen Geräusche unseres betriebsamen Lebens wegfallen, bleibt nur noch das Tock-Tock-Tock der Uhr in der Ferienwohnung. Auch, wenn ich diesen Zustand schon ein paar Mal simuliert habe, ist es immer wieder extrem spannend, die dabei in einem ablaufenden Prozesse zu beobachten.
  4. Wenn du denkst, dein aktueller Zustand geht so langsam gen Perfektion, schickt dir das Leben eine Prüfung. In unserem Fall nach drei Tagen zwei junge Nachbarn, die sich den ganzen Tag in Entertainer-Lautstärke unterhalten haben und dazu noch Radio und/oder Fernseher laufen ließen. Also ein paar Mal tief atmen und die erneute Feststellung: Diese plärrenden Ablenkungsgeräte gehören für mich definitiv nicht zu einem gelungenen Leben. (Und der Abschiedsschmerz heute Morgen hielt sich in sehr überschaubaren Grenzen).
  5. Was gibt es Größeres im Leben, als kilometerlang barfuß am Meer entlangzulaufen, die eigenen Gedanken weit hinten am Horizont platziert, die salzige Luft zu schmecken und danach im Zustand völliger Zufriedenheit ein Nickerchen zu machen? Meine Antwort ist bekannt.
  6. Essen – Laufen – Schlafen. Essen – Laufen – Schlafen. Das Insel-Hamsterrad mit all seiner Monotonie ist das einzige, in dem ich gerne freiwillig gefangen bin und in dem ich noch lange weiterstrampeln könnte.
  7. Rückenschmerzen sind keine Strafe des Himmels, sondern ein Produkt von zu langer Computerarbeit im Sitzen (und manchmal schwerer Koffer, die in Züge gehievt werden). Danke, Juist, dass du mir die Physiotherapie namens Strandspaziergang kostenlos ausgestellt hast. Und interne Memo: Öfter mal den eigenen Artikel Du bist dein bester Arzt lesen.
  8. Wenn jemand in 5 Minuten vom Festland auf die Insel fliegt, danach aber gute 30 Minuten mit der Pferdedroschke zu seiner Unterkunft braucht, muss er sich vorkommen wie bei “Zurück in die Zukunft” (also nicht, dass ich das ausprobiert hätte, aber das fühlt sich bestimmt so an).
  9. Wer hat eigentlich behauptet, dass ich in der Woche hier so richtig viel für mein Buch schreibe? Ach, das war ja ich.

Dafür hatte ich hier durch das Runterfahren auf den “Ganz-einfaches-Leben”-Modus jede Menge kreativer Ideen. Ein bisschen was hat mir Juist also schon ins Ohr geflüstert.

Vielleicht will mir die Insel auch einfach nur sagen: “Danke, dass wir uns gefunden haben. Ich weiß ja, dass du bald wieder vorbeikommst und werde dir dann die nächsten Geschichten erzählen.”

Ich warte erfreut auf die Botschaften.

Ging es dir auch schon so, dass dich ein Ort emotional richtig packt? Wo war das, wie hast du das gespürt und was hat es bei dir ausgelöst? Ich freue mich auf deinen Kommentar!