Europareise

Verdammt. Gar nicht so einfach, ein paar Tage nach der Rückkehr von meiner Europareise eine ganz persönliche Bilanz zu verfassen, während gleichzeitig die Gefühle Achterbahn fahren. Nach einem halben Jahr unterwegs ist auf den ersten Blick alles wie immer – und doch nichts mehr, wie es einmal war.

Ungefähr im halbstündlichen Wechsel jubiliere ich, endlich meine Frau wieder täglich zu sehen sowie viele Freunde zu treffen – und vermisse die großartigen Bekanntschaften von unterwegs.

Ich genieße die Sicht auf die Allgäuer Berge – und kann die ungewohnte Kälte kaum ertragen. Ich freue mich über das eigene wohlig-warme Bett – und denke sehnsüchtig an meine fünfeinhalb Monate draußen in der Natur. Und und und …

Von diesem Blues nach der Rückkehr von einer langen Reise hatte ich öfter gelesen. Ich war mir aber sicher, dass mir das nicht passieren kann. So kann man sich täuschen.

In ein paar Tagen oder vielleicht auch erst in zwei Wochen werde ich darüber lachen. Und bis dahin akzeptiere ich einfach, dass es auch solche Phasen im Leben geben muss.

Doch genug der herbstlichen Plauderei, hier kommen die:

12 Erkenntnisse, die ich aus meiner Europareise gezogen habe

1. TUN ist Leben

Mann, wie habe ich mich früher erfolgreich vor so vielen Dingen gedrückt. Mich von großen und kleinen Ängsten, dem inneren Schweinehund und der Komfortzone einmummeln und fernsehschauend aufs Sofa pressen lassen. Doch das Leben spielt sich draußen ab – im wahrsten Sinn des Wortes!

Endlich habe ich kapiert und verinnerlicht, dass niemand die Abenteuer des Lebens zu mir ins Wohnzimmer trägt. Soll mein Film aufregender werden, stehen im Drehbuch immer wieder dieselben drei Buchstaben: TUN.

Und deshalb bin ich einfach losgefahren, obwohl ich noch ein Jahr zuvor allein beim Gedanken an Autobahn-, Tunnel- und Fährfahrten schon Panikattacken bekommen hätte (von einem halben Jahr unterwegs zu sein, ganz zu schweigen). War stolz auf jede bestandene Prüfung, habe mein Selbstwertgefühl immer weiter aufgebaut.

Es gab so viele Tage auf der Reise, an denen ich mich so lebendig gefühlt habe wie nie zuvor. An denen ich laut singend im VW Bus saß, gelacht und mir selbst schlechte Witze erzählt habe. Eine unglaubliche Mischung aus Freiheit und der Befreiung von früheren Fesseln.

An den nicht so guten Tagen, wenn alte Muster wieder zum Vorschein kommen wollten, habe ich den Spieß im Vergleich zu früher umgedreht. Ich habe die Angst angelächelt, mich mit ihr unterhalten und ihr gesagt, dass ich weiß, warum sie jetzt gerade auftaucht. Und dass ich mich von ihr nicht mehr abhalten lasse.

2. Keine Angst mehr vor Neuem

Ziemlich viele Dinge habe ich auf der Tour zum ersten Mal in meinem Leben gemacht. Das lässt sich auf einer längeren Reise durch eine Reihe bisher unbekannter Länder auch gar nicht vermeiden. Zum Glück!

Denn Neues fordert mich heraus, inspiriert mich und gibt mir zusätzlichen Mut, wenn ich die Situationen gemeistert habe. Mit jeder geglückten Premiere habe ich ein wenig von der natürlichen Scheu vor der nächsten neuen Aufgabe abgelegt.

Meine Lieblings-Premieren: Linksverkehr in Großbritannien, Kajakfahren auf dem Meer, Zahnarztbesuch in Norwegen (aber erst hinterher), eine Nacht allein auf einer Autobahnraststätte in Dänemark und natürlich das Surfen in Portugal.

3. Es war einmal ein Weichei

Kopf voraus in das 12 Grad kalte arktische Meer? Saunieren in Tallinn bei 120 Grad? Dinge, die ich früher niemals gemacht hätte. Das Wasser durfte nicht unter 20 Grad sein. Und in so richtig heiße Saunen bin ich nicht gegangen, weil ich da meinem Körper nicht getraut habe.

Jetzt mache ich einfach das, worauf ich Lust habe. Überlege nicht mehr lange herum oder suche mir Ausreden. Vertraue mir und meinem Körper in allen Situationen und genieße das neue Gefühl.

Früher bin ich auch grundsätzlich mit Pulsmessgerät zum Sporteln gegangen. Ich musste ja mich und meine Werte immer im Griff haben. In den vergangenen sechs Monaten ist das Teil nicht ein einziges Mal zum Einsatz gekommen. Ich kenne meinen Körper und seine Grenzen – das reicht.

4. Menschen sind mein Lebenselixier

Jetzt kommt wieder mein neuer Lieblingsspruch: „Ich bin der extrovertierteste Intro, den ich kenne.“ Soll heißen, ich genieße als Introvertierter (das hat ein Test mal eindeutig ergeben) die ruhigen Momente allein. Aber so richtig aufblühen kann ich erst im Beisein anderer Menschen.

Früher habe ich mich mehr als Einsiedler gesehen, der ab und an mal unter Menschen muss. Inzwischen weiß ich, dass ich die Begegnungen und Gespräche mit anderen viel öfter brauche, als ich dachte und daraus jedes Mal Energie ziehen kann (wenn es die richtigen Menschen sind, aber das kann man ja steuern …).

Bei fremden Menschen ein Zimmer in ihrer Wohnung zu mieten, wäre für mich früher ein Graus gewesen. Jetzt genieße ich die neuen Kontakte, wie ich sie zum Beispiel in Stockholm und Danzig erleben durfte (oder wie jetzt gerade in Berlin, während ich diese Zeilen schreibe).

5. Alleinreisen macht stark

Wenn du schon länger meinen Blog liest, dann hast du mitbekommen, dass ich mit dem Alleinsein auch schon gehadert habe. Aber in der Summe war es eine Erfahrung, die mir ganz viel Stärke für das weitere Leben gegeben hat.

Ich weiß jetzt, dass mir alles gelingt, wenn ich es nur will. Weiß, dass ich die unterschiedlichsten Situationen allein meistern kann und mit mir selbst auf Dauer gut zurechtkomme (besagte Ausnahmen inklusive).

6. Das Nötigste reicht, um eine großartige Zeit zu haben

Ein VW Bus, ein Kühlschrank, ein Vorratsschrank, ein Kocher, ein Kleidungsschränkchen, ein Wasserkanister und (okay, das ist schon fast Luxus) eine Standheizung. Mehr habe ich in den knapp sechs Monaten nicht zum Glücklich sein gebraucht.

Für die Zukunft eine ganz einprägsame Erfahrung, die mich bescheidener macht. Und stabiler in Hinsicht der stets präsenten Ablenkungs-, Event- und Konsumverführungen unserer durch und durch kommerzialisierten Gesellschaft.

7. Die Schönheit der Natur ist überwältigend

Gut, das ist jetzt keine ganz neue Erkenntnis. Aber wenn du jeden Tag draußen bist und 20 000 Kilometer durch die unterschiedlichsten Regionen Europas fährst, schnappst du manchmal vor Begeisterung fast über. Also ich zumindest.

Ich saß so oft im Bus, an einem Strand, in einem Wald oder wo auch immer und habe laut gesagt: „Wow!“ Habe mich glücklich geschätzt, dass ich gerade diesen wunderbaren, intensiven Moment erleben darf.

Das (groß-)städtische Leben in all seiner Vielfalt kann ich zwar auch genießen. Aber so richtig gut geht es mir auf Dauer nur draußen in der Natur.

8. Wer bitte braucht Fernsehen, Radio, Zeitung, Nachrichten?

Okay, die deutschen Spiele bei der Fußball-WM habe ich mir schon angeschaut. Aber sonst? Fehlanzeige. Ohne Fernsehen, Radio, Zeitung und Nachrichten war ich ein glücklicher und freier Mensch.

Zu keiner Sekunde habe ich etwas vermisst. Ganz im Gegenteil. Keine „Vor dem musst du jetzt wieder Angst haben“-Meldungen der Medien bedeuten gleichzeitig, sich um ganz viele Dinge keine Gedanken machen zu müssen.

Nichts anders werde ich es jetzt daheim handhaben. Was mich wirklich interessiert, erzählt mir schon irgendjemand. Und im Notfall gibt es ja noch das Internet.

9. Planlos sein ist wunderbar

Die Eckdaten der Route im Kopf, aber sonst völlig ohne Plan: Ich kann es noch immer kaum glauben, dass ich das so durchgezogen habe. Ich, der Vernunftgesteuerte und ehemals ewige Planer. Der nichts mehr gehasst hat als Überraschungen und Spontanität.

Doch der neue Weg macht mich lebendig. Die spannenden Dinge passieren nun einmal ungeplant. Planlos sein verschärft die Aufmerksamkeit. Und am Ende habe ich noch immer den Weg zurück zum Bus gefunden. Wenn auch einmal nachts um 2 Uhr in Brandenburg nur mit Hilfe von Google Maps …

10. Ich muss mich nicht mehr verstecken

Früher war ich froh, wenn ich – ohne aufzufallen – in der Masse mitschwimmen konnte. Heute freue ich mich, dass ich sichtbar bin. Ganz egal, was die Leute darüber sagen oder ob es auch einmal peinlich wirken kann.

Ob Yoga in der Öffentlichkeit, lautstarke Echo-Rufe in einer belebten Unterführung oder eine Viertelstunde lang in einen Kilt gewickelt zu werden, währenddessen dutzende Kameras auf mich gerichtet waren: Was für eine Freude!

11. Ein Leben ohne Bloggen? Unvorstellbar!

Schreiben, schreiben, schreiben: Manchmal musste ich mich überwinden. Doch an den meisten Tagen war es pure Freude.

Nicht Zeilen über irgendein unwichtiges Eishockeyspiel zu verfassen. Sondern über Dinge zu sprechen, die mir wichtig sind. Die für mich ein positives Leben ausmachen. Ganz offen Dinge von mir zu erzählen, damit die Leser mich und meine Lebensgeschichte verstehen. Und dann noch zu sehen, dass es auch andere Menschen interessiert: Das alles fühlt sich unglaublich gut an.

12. Menschen zu bewegen, macht mich glücklich

Doch was nutzt mein gutes Gefühl, wenn ich niemandem mit meiner Botschaft helfen kann? Zum Glück zeigt ihr mir jeden Tag, dass diese Furcht unbegründet ist.

Eure Reaktionen in den Kommentaren, per Mail oder Facebook-Nachricht haben mir des Öfteren Tränen in die Augen getrieben. Was für ein wunderbares Gefühl, wenn sich Menschen mir gegenüber öffnen, mir sagen, dass ich sie inspiriert habe. Oder sie durch meine Worte neuen Mut geschöpft haben. Es gibt nichts Größeres!

Du hast bist hierher durchgehalten? Ganz lieben Dank! Meine große Reise ist nun zu Ende. Doch unsere große, gemeinsame Reise auf dem Blog geht unvermindert weiter. Darauf freue ich mich, das spornt mich jeden Tag aufs Neue an. Packen wir’s an!

Was sind deine Erfahrungen nach langen Reisen? Kommt dir manches bekannt vor? Habe ich etwas Wichtiges vergessen? Ich freue mich auf deinen Kommentar.