“Weißt du Mischa, du kannst ja leicht reden. Du hast ja keine Kinder.”

“Mischa, du bist halt privilegiert.”

“Weißt du Mischa, so einfach geht das nicht. Ich muss ja schließlich mein Haus abbezahlen (jeden Tag 12 Stunden arbeiten; meine kranken Eltern pflegen; meinen Goldhamster versorgen).”

Ich liebe solche Nachrichten.

Zum einen als schöne Erinnerung an mich: Hej, ich führe tatsächlich ein verdammt privilegiertes Leben.

Zum anderen als schöne Erinnerung an dich: Die Entscheidung für ein privilegiertes Leben triffst du. Deine Eigenverantwortung. Ende der Geschichte.

Na, hast du gemerkt, wie dein Blutdruck steigt? “Wie kann der sowas vom Stapel lassen! Wenn der wüsste, wie schlimm meine Situation ist!”

Okay, alle einmal tief durchatmen. Lass mich etwas weiter ausholen.

Die zwei wichtigsten Aspekte der Eigenverantwortung

1.) Du bist schon privilegiert und darfst dankbar dafür sein

Wenn du diese Zeilen liest, hat dir irgendwann mal jemand das Lesen beigebracht. Du hast einen Rechner oder ein Smartphone und Strom, um diesen zu betreiben. Du hast ein Dach über dem Kopf, eine warme Heizung und jeden Tag genug zu essen. Angesichts dieser Voraussetzungen würden 80 % der Weltbevölkerung  dir sofort ein verdammt privilegiertes Leben bescheinigen.

Ach und: Du bist am Leben. Wann hast du dich zum letzten Mal für all diese Aspekte bedankt?

2.) Hör auf, irgend jemand anderen für dein Leben verantwortlich zu machen

  • Wer ist verantwortlich für deinen Job? DU!
  • Wer ist verantwortlich für deine Beziehung? DU!
  • Wer ist verantwortlich dafür, wie sich deine Kinder entwickeln? DU!
  • Wer ist verantwortlich für deinen Kontostand? DU!
  • Wer ist verantwortlich für deine Wohnsituation? DU!
  • Wer ist verantwortlich für deine Gesundheit? DU!
  • Wer ist verantwortlich für deine Freiheit? DU! (falls du mal wegen eines Justizirrtums im Gefängnis gesessen bist, nehme ich die Aussage für dich zurück; für alle anderen gilt sie umso mehr)
  • Wer ist verantwortlich für deine Fitness? DU!
  • Wer ist verantwortlich für deine Stimmung? DU!
  • Wer ist verantwortlich für deine Gefühle? DU!

DU, DU, DU, DU, DU …!

Ja, ich weiß, das schmerzt.

Doch du darfst ab jetzt damit aufhören, irgendjemanden oder irgendwas in deinem Leben dafür verantwortlich zu machen. Du stehst dort, wo du gerade bist, aufgrund der Entscheidungen, die du getroffen hast. Aufgrund der Dinge, die du getan oder nicht getan hast. Aufgrund der Art, wie du über dich und das Leben denkst (oder zumindest bis jetzt gedacht hast).

“Ja, Mischa, ABER …!”

Ja, ich weiß auch, dass manchmal Dinge geschehen, die außerhalb unserer Kontrolle liegen.

Und auch hier liegt die Entscheidung wieder bei dir: Nimmst du hin, was ist und du eh nicht ändern kannst. Oder entscheidest du dich wie gewohnt für den Widerstand.

Weil du der Meinung bist, dass das Leben sich gefälligst nach dir zu richten hat. Weil du ja weißt, was gut für dich ist und wie alles zu laufen hätte, damit es dir gut geht.

Du gut. Leben böse.

Rate mal, wer mehr Freude am Leben hat, mehr Leichtigkeit und mehr Fülle in sein Leben zieht? Derjenige, der schon durchdreht, wenn sein Zug nur 20 Minuten Verspätung hat, die Schaffner beschimpft und allen im Abteil tierisch auf den Sack geht? Oder derjenige, der selbst nach einer Stunde Zwangspause auf freier Strecke noch gechillt in seinem Sessel sitzt und seinen Nachbarn lustige Geschichten erzählt?

Du willst, dass das Leben gut zu dir ist? Dann sei du doch mal gut zum Leben!

Und kommentiere nicht alles mit heruntergezogener Fresse wie ein Fußballfan, dessen Lieblingsteam gerade haushoch verliert (abgesehen davon ist es eh sinnfrei und Energieverschwendung, die eigene Stimmung von Sportergebnissen abhängig zu machen – ich weiß, wovon ich als früher passionierter Passivsportler spreche).

Wann fängst du an?

Wenn du feststellst: Okay, das mit dem Leben, Dach überm Kopf und genug Essen ist schön. Doch da gibt es genug andere Aspekte, die ich in mein Leben integrieren möchte. Dann fang an!

Schritt 1: Sträub dich nicht mehr gegen das Leben. Fang an, mit der aktuellen Situation Frieden zu schließen. Vielleicht so: “Ja, ich stecke gerade ziemlich in der Scheiße. Das ist okay. Und ich bin mir sicher, dass es auch für mich einen Weg heraus gibt. Ich übernehme endlich (das erste Mal) in meinem Leben die volle Verantwortung für mein Leben und gehe ab jetzt konsequent Schritt für Schritt dahin, wo ich wirklich hin will.”

Schritt 2: Fang wirklich an. Jetzt.

Schau, zu mir hat damals auch niemand gesagt:

Gratulation Herr Miltenberger! Zum Dank für 20 Jahre Panikattacken und 10 Jahre mit depressiven Episoden überreichen wir Ihnen dieses Paket, das folgende Privilegien beinhaltet:

  • Medikamentenfreies Leben
  • Ortsunabhängiges Arbeiten
  • Wundervolle Freunde
  • VW Bus/Wohnmobil und viele Reisen
  • Erfolgreiche Selbstständigkeit als Coach und Seminarleiter, der mit Menschen an seinen Lieblingsorten arbeiten darf
  • Lebensfreude
  • Viel Zeit für Ruhe, Entspannung, Lesen und Bewegung im Freien
  • Eine völlig neue Sicht auf die Welt und wie das Leben tatsächlich funktioniert
  • Eine Frau, die es mitmacht, viele Wochen im Jahr allein zu sein, während ihr Mann seine Solotrips durchzieht
  • und, und, und …

Risiken und Nebenwirkungen von Heldengeschichten

Anders formuliert: Wenn du glaubst, ich sei privilegiert, dann frag dich bitte, wo diese Privilegien herkommen. Oder wie Stefan Hiene so schön sagt: “Die Heldengeschichten finden alle toll. Aber keiner will wirklich wissen, was auf dem Weg dorthin alles passiert ist.”

Held sein ja. Doch bitte ohne Schmerzen. Falls du das Rezept kennst, sag es mir.

Ich selbst durfte in den vergangenen Jahren ziemlich viel opfern und investieren, um an den heutigen Punkt zu kommen. Die zentralen Bestandteile:

  • Volle Eigenverantwortung mit radikaler Klarheit und Konsequenz bei allen Entscheidungen
  • Mich unangenehmen Wahrheiten zu stellen und schmerzhaften Themen zu öffnen
  • Eingehen von Risiken auf verschiedenen Ebenen (Zahlt sich das finanziell aus? Werde ich noch geliebt, wenn ich mich stark verändere? Kann ich das echt bringen, so zu leben? Hält unsere Ehe das alles aus?)
  • Mich jedesmal wieder der Angst vor neuen Schritten zu stellen – und sie trotzdem oder gerade deshalb gehen
  • Ständiges Üben von Selbstannahme
  • “Komische” Zeiten aushalten und den Widerstand aufgeben
  • Mich meinem schlechten Gewissen zu stellen (“Du leistest zu wenig! So einfach geht das nicht!”)
  • 30.000 Euro Investition in mich (Klinik/Seminare/Mentoring/Persönlichkeitsentwicklung auf verschiedensten Ebenen – einiges aus den Rücklagen aus der Berufszeit, viel davon selbst erwirtschaftet)
  • Mich meinem früheren Dämon “Alkohol” solange zu widmen, bis er keinen Einfluss mehr auf mein Leben hat

Die Liste ließe sich noch ziemlich lange fortsetzen. Und jetzt frage ich dich: Wenn du meinst, ich sei privilegiert – was hast du denn von all diesen Dingen schon in die Waagschale geworfen, um etwas zu verändern?

Krasse Veränderungen sind möglich

Falls das nicht so viele oder gar keine sind, darfst du dich gerne fragen: “In welchen Bereichen meines Lebens werde ich ab heute mehr Verantwortung übernehmen?”

Und dann tu endlich das, wonach deine Seele schreit, anstatt dich mit den gut geübten Ausreden und dem Verweis darauf, dass du leider nicht so privilegiert bist, weiter selbst zu verarschen.

Sind krasse Veränderungen möglich? JA! Falls du es nicht glaubst, schau dir einfach mal das Foto auf meinem Personalausweis von 2010 an.

Gehen die Veränderungen heute auf morgen? Klar, wenn du fest genug daran glaubst. Ansonsten darfst du einfach heute beginnen und die ersten Schritte in dein privilegiertes Leben gehen. Und nicht mehr stoppen.

Ach, wie du ins Tun kommst? Durch Tun und Ausprobieren. Mehr davon, was dir gut tut und Spaß macht. Weniger davon, wogegen sich in dir alles sträubt.

Leider wird’s nicht komplizierter.