Erinnerung an den Mai 2014: Ein morgendlicher Strandspaziergang auf der Isle of Islay bei stürmischem Wind. Ich laufe in die Dünen, lege mich auf den Rücken, sehe die Wolken vorbeiflitzen und denke einmal mehr an mein Motto: “Draußen kann dir nicht die Decke auf den Kopf fallen.”

Klingt einfach, ist es auch. Angstpatienten neigen ganz oft dazu, sich in ihren eigenen vier Wänden zu verkriechen. Hier ist alles wie gewohnt, eine sichere Umgebung, Schutz vor dieser gefährlichen Welt da draußen. Hier ist die Wahrscheinlichkeit für Panikattacken geringer, weil es wenig Konfrontation mit potenziell angstauslösenden Situationen gibt.

Der große Nachteil: Auch die eigenen Gedanken, die sich immer und immer wieder um dasselbe Thema drehen, können nicht hinaus. Sie bleiben, genauso wie der dazugehörige Angstpatient, im selbst erwählten Gefängnis.

Frühsport? Kein Pardon!

Ich bin jetzt bestimmt nicht so vermessen zu behaupten, dass der Aufenthalt in der freien Natur alle Probleme löst. Aber ich habe am eigenen Leib erfahren, wie wichtig und wohltuend das ist. Aus vielerlei Gründen: Fitness, Ablenkung, Kreativität, Perspektivwechsel, Abhärtung, neues Vertrauen in deinen Körper, und, und, und  …

Während meines Klinikaufenthalts gab es kein Pardon: 7.15 Uhr Frühsport, egal bei welchem Wetter. Ist ja alles nur eine Frage der Kleidung. Am Anfang habe ich es verflucht, weil das so gar nicht meine Zeit war. Und schnell gemerkt, dass es das Beste ist, was einem passieren kann.

Du kannst bei so einem Morgenritual gar nicht verhindern, dass dein Körper Frischluft und Licht bekommt. Du merkst, dass du jeden Tag fitter wirst. Und nach einer dreiviertel Stunde geht’s zufrieden unter die Dusche. Du hast schon vor dem Frühstück etwas geleistet und kannst stolz auf dich sein. Was will man mehr?

Durchs Laub rascheln und in Pfützen hüpfen

Hast du schon einmal versucht, während du dich bei Windstärke 9 gegen den Sturm gestemmt oder kurz nach einem Hagelunwetter deine Einfahrt freigeschaufelt hast, an deine größten Sorgen zu denken?

Natürlich nicht, das geht auch gar nicht. Dein Geist konzentriert sich in dem Moment auf etwas anderes.

Genauso ist es beim Radfahren, beim Nordic-Walking, wenn du im See schwimmst, und, und, und … Dein kleines Gefängnis daheim ist erst einmal weit weg. Du bist wenigstens einmal für eine Stunde aus dieser unendlich kräftezehrenden Dauerschleife deiner Ängste draußen.

Dass man draußen noch andere tolle Dinge wie durchs Laub rascheln, in Pfützen hüpfen (das ist tatsächlich auch Erwachsenen erlaubt), Bäume umarmen, jodeln oder seine Wut herausbrüllen kann, kommt noch im positiven Sinne dazu.

Draußen zu sein ist echter Luxus

Ich habe auch zu den Fitness-Studio-Trainierern gehört (was ich an dunklen Herbst- Wintertagen noch immer schätze). Aber Bewegung draußen ist besser, etwas für alle Sinne (wenn man nicht über seinen Rennradlenker geklemmt 100 Kilometer durch die Gegend bolzt, ohne einmal aufzuschauen).

Selbst Unsportliche können jeden Tag rausgehen, kann ja auch gemächlich sein. Und draußen zu sein, ist noch dazu ein wahrer Luxus: Kostet nichts, bringt aber unheimlich viel. Auf meiner Europatour war ich jede Minute, in der ich nicht geschlafen oder gerade irgendwas besichtigt habe, draußen (außer bei drei heftigen Gewittern, bei denen das keine gute Idee gewesen wäre). Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.

Und zum Schluss noch ein japanisches Sprichwort, das mir eine liebe Ex-Kollegin geschickt hat:

Bricht das ganze Haus zusammen,
dann siehst du endlich die Sterne und den Mond.