Ich bin entsetzt über den schrecklichen Flugzeugabsturz der Germanwings-Maschine. Aber genauso schlimm war für mich der darauf folgende mediale Wahnsinn. Einerseits die Hetzjagd, derer sich Familie und Freunde des Co-Piloten ausgesetzt sehen. Andererseits die Aussage, die latent oder ganz offen in den marktschreierischen Schlagzeilen mitschwingt: Depressive Menschen sind potenziell gefährlich.

Schreib einfach in eine Überschrift “depressiv” oder “psychisch krank” und schon hast du eine ganz einfache Erklärung für die schlimmsten Dinge, die passieren, denken sich wohl immer noch viel zu viele Journalisten.

Mir stellen sich dabei die Nackenhaare auf, ich bin traurig und wütend zugleich. Dabei gibt es in den ruhigen Zeiten viele gute Beiträge rund um das Thema Depression und den Versuch der Entstigmatisierung. Aber sobald etwas Schlimmes passiert, wird gnadenlos die Psycho-Keule geschwungen.

Oder kurz formuliert: Der Nachrichtenchef reißt das wieder ein, was der Redakteur im Gesundheitsressort so mühevoll aufgebaut hat.

Viel zu viel Schiss vor dem Outing

Leidtragende sind die Menschen mit psychischen Problemen, die sich nicht wie ich hinstellen und sagen “Ja, ich hatte 20 Jahre lang Panikattacken und drei schwere depressive Episoden.” Sondern die sich nicht trauen, jemandem von ihrer Krankheit zu erzählen. Die viel zu viel Schiss davor haben, was alles über sie ausgeschüttet würde, wenn sie sich “outen”.

Wie wahrscheinlich ist es, dass jemand seine Krankheit öffentlich macht, wenn gerade in den Medien suggeriert wird, dass depressive Menschen potenzielle Massenmörder sind? Wenn er beim Bäcker, im Supermarkt und in der Arztpraxis hört “Der Co-Pilot war halt psychisch krank”?

Es sind schon schreckliche Verbrechen geschehen, weil sich Ehefrauen haben scheiden lassen, der Job gekündigt wurde oder die gesamten Ersparnisse beim Zocken drauf gingen. Aber komischerweise haben geschiedene Männer, Arbeitslose und Casino-Besucher nicht den Stempel “Achtung gefährlich!” auf der Stirn.

Ich habe mich für meine Depression geschämt

Mich bewegt das Thema deshalb so sehr, weil ich mich auch 10 Jahre lang für meine Depression geschämt habe. Weil ich immer wieder mitbekommen habe, wie über depressive Menschen in der Öffentlichkeit (und auch in Zeitungsredaktionen) geredet wird. Bei so viel Häme und Ignoranz wollte ich um alles in der Welt verhindern, dass ich mit meiner Krankheit eine gute Zielscheibe abgebe.

Ich hatte in dieser schweren Zeit nicht ein einziges Mal den Gedanken daran, irgend jemandem oder mir selbst was Böses zu tun. Was aber interessant ist: Durch die öffentliche Wahrnehmung “psychisch krank = gefährlich” und der entsprechenden Vorurteile hatte ich wirklich Angst davor, dass meine “Verrücktheit” irgendwann dazu führen könnte, dass ich irgend etwas Unkontrolliertes tue.

Ähnliche Gedanken haben mir viele Mitpatienten geschildert, die ich vor 2 Jahren in der pyschosomatischen Klinik getroffen habe. Und alle eint etwas: Es sind wunderbare, herzliche, sensible Menschen. Die oftmals mehr an das Wohl anderer Menschen denken als an ihr eigenes. Die helfen, wo sie nur können, auch wenn es ihnen noch so schlecht geht. Die sich für andere aufopfern, bis sie selbst umfallen. Und die niemals auch nur einer Fliege was zuleide tun könnten.

Für all diejenigen und die Millionen depressiven Menschen da draußen, die ich nicht kenne, schreibe ich heute diesen Text. Meine Liebeserklärung an die großartigen Wesen, die nicht nur mit dieser fiesen Krankheit, sondern mit dem immer noch allgegenwärtigen Stigma zu kämpfen haben.

Ich möchte euch zurufen: Ich weiß, dass ihr nicht so seid, wie verallgemeinernd an den Stammtischen dargestellt. Vor euch muss niemand mehr Angst haben als vor jedem anderen Menschen auch, wie in diesem hervorragenden Artikel beschrieben. Eure Krankheit macht euch nicht zu gefährlichen Verbrechern oder Mördern. Bitte glaubt das niemandem, der euch das erzählen will.

Zum Schluss möchte ich noch Tanja und ihrem Team von Radio Sonnengrau danken, die sich auf ehrenamtlicher Basis mit unermüdlichem Einsatz dieses Themas annehmen und bestimmt dieser Tage auch des Öfteren entsetzt den Kopf geschüttelt haben. Von Menschen wie Euch kann es gar nicht genug geben!

Willst du zu diesem heiklen Thema einen Kommentar abgeben? Falls du sagst “Lieber nicht” würde ich mich über ein Liken oder Teilen des Artikels sehr freuen.