8. Dezember 2017, nachmittags um 14 Uhr: Ich sitze in Bolnuevo, Region Murcia, am Strand. Gerade war ich im Meer baden, während mir die Spanier in Herbstjacken und langen Hosen zugeschaut haben. Hier ist Feiertag. Bei mir ist auch mal wieder Feiertag. Innerer Feiertag.

Ich ziehe Bilanz des ersten Monats der Mutmacher-Tour 2017/2018, meiner Überwinterungspremiere in Südeuropa. Und möchte dir meine Erkenntnisse über mich und das Leben, die mich derzeit geradezu überfluten, nicht vorenthalten. (Falls du keine Lust zum Lesen hast und nur ein paar Bilder schauen willst, scroll einfach ans Ende des Artikels.)

Einschub: Wen interessiert das? Mich! Ich habe ja nie etwas anderes behauptet, als dass ich mich mit diesem Blog selbst therapiere. Angenehmer Nebeneffekt: Ganz schön viele Leser haben dadurch neuen Mut gewonnen, Dinge angepackt, sich auf dem Weg gemacht, sich neue Bereiche des Lebens erschlossen.

Und das nur, weil ich hier meine Geschichte erzähle. Deshalb gibt es auch gar keinen Grund, daran etwas zu ändern. Lustigerweise wollte ich mir selbst zuerst nicht gestatten, so ausführlich über meine Tour zu schreiben. Da war der Mister Perfect in meinem Kopf, der meinte, das sei nicht wichtig genug. Mit dem jungen Herrn durfte ich ein paar ernste Gespräche führen.

Letztlich hat ihn der sanfte Hinweis überzeugt, dass dieser Blog ohne meine Roadtrip-Begeisterung gar nicht erst entstanden wäre. Dinge, die für mich wichtig sind, sind in irgendeiner Form auch für andere wichtig. Deshalb gibt es nun alle 4 Wochen die Zusammenfassung „Was macht die Reise mit mir?“ plus ein paar bildliche Eindrücke für alle, die nicht bei Facebook sind. Ende des Einschubs.

Merkst du was? Ja, das ist einer ganz schön in der Reflexion. Seit ich unterwegs bin, geht das so. Ratter, ratter, ratter … Nicht in dem Sinn eines belastenden Gedankenkarussells, das mich fertig macht. Sondern eher in dem Sinn: Verrückt, was ich hier unterwegs mal wieder alles über mich, meine Marotten, lang überwunden geglaubte Muster und noch viel mehr lerne.

Es fühlt sich an, als hätte ich mit dem Start der Tour eine neue Büchse des Verstehens aufgemacht. Nicht alles, was da rauskam, hat mir auf Anhieb gefallen. Wobei das in einem Lernprozess ziemlich normal ist.

Jetzt aber Schluss mit dem Vorgeplänkel, hier kommen meine Erkenntnisse von Monat 1 der Mutmacher-Wintertour.

# 1 Mañana ist auch noch ein Tag

Oder anders gesagt: Spanien ist nicht Deutschland. Irre, oder? Kaum fahre ich mal 2000 Kilometer, schon verstehe ich weltbewegende Dinge. Die ersten 1400 Kilometer davon bin ich Full Speed Richtung Süden gejagt. Flucht vor dem Schnee, hin zur Sonne. Das Ziel war am zweiten Tag erfüllt.

Also hieß es am dritten Tag: Jetzt ist die Infrastruktur dran. Spanische Gasflasche, spanische SIM-Karte und kleinere technische Dinge. Dann habe ich gemerkt, dass ich in Spanien bin. Am sechsten Tag war alles betriebsbereit.
Handyläden, die es nur in der Theorie gibt. SIM-Karten, die erst in ein paar Tagen wieder da sind. Tankstellen, die Verträge für Gasflaschen ausstellen, aber kein Gas haben. Tankstellen, die Gas haben, aber keine Verträge. So ging das ein paar Tage lang.

Ich noch schön im deutschen Hochgeschwindigkeitsmodus. Und es war mir echt peinlich, wie ich mich dabei ertappt habe, wieder voll in den alten Mustern zu sein: Ich muss alles unter Kontrolle haben. Es muss schnell gehen und jedes Problem sich sofort lösen.

„Halt!“ Rief zum Glück irgendwann die Stimme von Mister Machdichmallocker in meinem Kopf. „Willkommen auf dem Planet Spanien. Hier gehen die Uhren anders.“

Als ich nach ein paar Tagen den Widerstand aufgegeben habe, fühlte sich plötzlich alles ganz leicht an. Mañana, also morgen, ist auch noch ein Tag, an dem es klappen kann. Das Leben geht weiter und die Sonne scheint. Wo also soll das Problem sein?

# 2 Die richtigen Fragen bringen die richtigen Antworten

Haben sich alle Themen von selbst gelöst? Nein. Ich hatte vor lauter Hadern das Fragestellen vergessen.

Also habe ich mich besonnen und gefragt: „Hej Universum, was habe ich bisher übersehen und welche Menschen können dazu beitragen, dass ich die Lösungen für meine Themen bekomme?“ Dann bin ich an den Strand und habe zwei Stunden geschlafen.

Und am nächsten Tag haben sich ALLE Themen gelöst. Völlig irre. Los ging es mit einem ganz lieben Schweinfurter Wohnmobilisten, der mich auf meinen Blog angesprochen hat (ein Hoch auf die Beklebung des Mutmachermobils!). Er konnte mir nicht direkt helfen, dafür hatte er einen guten Tipp, der wiederum einen guten Tipp hatte, usw. Auf einmal lief alles wie am Schnürchen und ich habe gesehen, wie viele Menschen richtig Lust haben, einem zu helfen.

Seitdem bin ich zur Frage- und Hilfsanforderungsmaschine mutiert.

Ein Punkt, in dem ich früher ganz schlecht war und der mich immer noch ein bisschen Überwindung kostet. Doch mit jedem positiven Referenzerlebnis wird es besser.

Ob Antennenanschluss für den Router, ein klemmender Adapter, Fahrweg zu den heißen Quellen oder Tipps für Entsorgung und Einkaufen: Ich frage und frage und frage und bekomme alles, was ich brauche.

Und sogar noch mehr: Meine englischen Stellplatznachbarn treffe ich „zufällig“ (wer mich kennt, weiß, dass es das Wort nicht mehr in meinem Vokabular gibt) vor dem Supermarkt und fragen mich, ob sie etwas für mich transportieren sollen, da ich mit dem Bike da bin. Ach ja, den 8-Liter-Kanister Wasser können sie gerne mit dem Roller die 200 Höhenmeter mit hoch nehmen.

Das ist für mich die zentrale Erkenntnis bisher: Ich kann, muss und will nichts allein lösen. Wir sind hier auf Erden, um uns gegenseitig zu helfen. Sonst hätte ja jeder seinen eigenen Planeten. Für mich fühlt sich das sehr wohltuend und herzwärmend an.

#3 Weite und Ruhe verlangsamen das Leben

10 Tage habe ich auf der Finca Caravana verbracht und dort mitgeholfen. Ein Stellplatz irgendwo im Nirgendwo. Spanische Steppe. Oliven-, Mandel- und Walnussbäume. Wilder Rosmarin und Thymian. Ein paar Hügel mit Windrädern. Und sonst nur endlose Weite und Ruhe.

Bei rund 10 Autos, die auf der Straße dort vorbeifahren, ist das Brummen der Eintagsfliege schon eine massive Lärmbelästigung.

Ich habe gemerkt, wie Tag für Tag meine Schritte langsamer wurden. Mein Geist in eine positive Trägheit verfallen ist.

Ja, es gibt was zu tun. Und dann gibt es auch ganz viel nicht zu tun.

Einfach nur zu sein, zu schlendern, zu staunen über Sonnenaufgangs- und Sonnenuntergangs-Spektakel, am Lagerfeuer sitzen und zu wissen, dass es genau genommen zum Glück nicht (viel) mehr braucht.

Kein Wunder, dass dort Menschen eigentlich nur für zwei Tage bleiben wollen und am Ende dann zwei Monate da sind. Hier passiert nichts. Wer sich dem Rhythmus hingibt, hat viel vom Leben verstanden.

#4 Ich muss nichts – und schon gar nicht der coolste Typ sein

Diese Wahrheit hat sich mir aufgetan, als ich völlig unerwartet und ungeplant 5 Tage auf demselben Stellplatz stand. Einem, der was kostet. So richtig spießig mit Dusche, Waschmaschine, Wäscheleinen, Sitzecken und ein paar englischen Dauercampern.

Normalerweise stehe ich frei (und somit auch kostenfrei) und hätte schon lang wieder auf der Suche nach dem nächsten coolen Platz mit super Aussicht sein müssen. Doch das war mir so egal, weil ich mich dort super wohl gefühlt habe. Ich war voll bei mir, es war ruhig und alles lief einfach. Sobald ich in so einem intuitiven Rhythmus bin, weiß ich: Hier bin ich richtig. Und dann nehme ich mir auch raus, völlig spießig irgendwo länger zu sein und dafür sogar Geld zu zahlen.

Weil ich niemandem etwas beweisen muss. Außer mir selbst, dass ich dort bin, wo es mir gut tut.

Was ich sonst im letzten Monat nicht musste:
– Viel Bier trinken und ganz viel Fleisch essen, nur weil es 3 andere Männer in der Runde tun (ich wurde offiziell toleriert)

– Vorgeblich dringende Aufgaben erledigen, wenn ich gleichzeitig stundenlang im Schwefel-Thermalbecken des Hippie-Paradieses sitzen und mit lieben Menschen richtig tiefgehende Gespräche führen kann

#5 Das Leben leitet mich perfekt

Mut zur Lücke! Es gibt nur 3 Fixpunkte auf der gesamten Tour. Auf der Finca Caravana war ich schon. Am 27. Dezember hole ich meine Frau auf dem Flughafen Malaga ab. Und am 15. März 2018 beginnt das Mutmacher-Camp auf Mallorca. Das war’s. Der Rest ergibt sich.

Ich liebe es, mich vom Leben leiten zu lassen. Gute Tipps von anderen Reisemobilisten, ein gutes Ohr für meine Bedürfnisse, ein gewisses Gespür, was gerade dran ist und ein bisschen Mut (fürs Offroaden zum Hippie-Paradies): Schon lande ich immer am richtigen Ort.

Richtig ist nicht, wenn ich die geilste Aussicht habe (auch wenn ich dem ganz schön viel abgewinnen kann). Richtig ist, wenn ich tief in mir merke, dass ich richtig bin.

Dieses Gefühl macht sich immer mehr breit und ich gebe mir immer mehr die Erlaubnis dazu. Die Route schreibt sich damit von selbst. Ganz wie 2014.

# 6 Begrenztes Datenvolumen sorgt für Freiheit

Hä? Macht einen das nicht unfrei, wenn man ständig drauf schauen muss, nicht zu schnell zu viel von seinen 20 GB pro Monat durchs Netz zu jagen? Im Gegenteil. Spannende Feststellung. Wenn ich nicht ununterbrochen im Netz sein kann, dann bin ich es nicht, sondern mache in der Zeit was Sinnvolles: einen Spaziergang, ne Runde mit dem Rad, spiele Ukulele, höre Hörbücher, schreibe mein Tour-Tagebuch, quatsche mit den Nachbarn oder sitze einfach nur vor dem Bus und schaue in die Luft.

Ein Datenlimit ist die perfekte Art, den Fokus fürs Wesentliche zu schärfen.

Und wer braucht schon Netflix?

# 7 FKK rulez – auf dem Weg zum Hippie

Scham und soziale Ängste waren schon immer zwei große Themen in meinem Leben. Alles erledigt und Geschichte? Nein. Doch immerhin schält sich auch hier Schicht für Schicht ab.

Beim Bad im verkehrstechnisch abgelegenen, öffentlich zugänglichen Schwefelbecken gab’s dazu die nächste lustige Prüfung. Ich hätte ja einfach mit Badehose reingehen können, wie so manch andere. Doch ich weiß, wie sehr die Klamotten danach riechen und hatte da einfach keine Lust auf eierfaulen Gestank im Bus.

Es gab ja auch welche, die einfach FKK-Style rein sind. Das mach ich auch! Dachte ich. Und bin dann rund 5 Minuten in Unterhose um meine Tasche herumgeschlichen, bis ich mir den Ruck gegeben habe:

Scheiß drauf, Hippie sein ist nur einmal im Jahr.

Was für ein geniales Feeling! Und am Ende nach 2 Stunden Einweichen bei 45 Grad noch eine öffentliche Dusche im Adamskostüm. Ich gestehe, dass ich an der Hippie-Nummer richtig Gefallen gefunden habe: Wagenburg im Niemandsland, Lagerfeuer, Gitarrenmusik, tiefenentspannte Menschen. Okay, mit meinem Spießer-Wagen werde ich wohl eher der Typ Edel-Hippie bleiben.

Das war’s von Monat 1. Und wie versprochen hier noch ungeschminkte Impressionen aus meinem Busleben: